Politik Wo bleibt der Aufstand der aufrechten Demokraten?

Zum Artikel „EU schaut bei Gewalt gegen Flüchtlinge weg“ (TV vom 8. August) schreibt Ernst Geilenkirchen:

„Es fehlt der Wille, wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen Druck auf die Grenzstaaten auszuüben.“ Diese Aussage eines Frontex-Experten, den der TV zitiert, sollte eigentlich einen Aufstand aller Demokraten provozieren, betrachtet man die angeführten Beispiele für Missstände an den Außengrenzen Europas: brutaler Einsatz der Grenzschützer, Polizeihunde, die auf Flüchtlinge gehetzt werden, Verstöße von Polizisten in Ungarn, Bulgarien und Griechenland, die folgenlos bleiben. Meldungen über Versklavung, Menschenhandel und Vergewaltigungen in libyschen Lagern werden hingenommen. In China, in Saudi-Arabien, in der Türkei und in andern „Schurkenstaaten“ verlangt Angela Merkel die Einhaltung der Menschenrechte. An den Außengrenzen der EU nimmt sie es nicht so genau.

Die Aufregung nach solchen Meldungen über die menschenverachtenden Zustände an den Grenzen der EU ist meist nur gering. Statt derartige Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, werden ausgiebig Sommerlochaktionen diskutiert, wie die von Carsten Linnemann,Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU. Er will Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen bei der Einschulung zurücksetzen. Auch hier: Ausgrenzung statt Integration. Einwanderung und Zusammenleben, auch zusammen lernen, werden nicht als Chance, sondern als Gefahr gesehen.

Bei dem aussichtslosen Versuch, die Populisten mit deren Mitteln zu bekämpfen, werden politisch wehrlose Menschen von Politikern zur eigenen Profilierung genutzt. Nebenbei werden Ängste geschürt und auch die Arbeit in den Bildungseinrichtungen diskreditiert, wo es trotz erheblicher Schwierigkeiten tausendfach gelungen ist, Kinder ohne Deutschkenntnisse zu fördern. Das Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung rechnet damit, dass im Herbst ungefähr 40 Prozent der Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 einer Beschäftigung nachgehen. Diese positiven Ergebnisse von Integrationsarbeit stören aber das Weltbild vieler Politiker, die auf Abschottung von Ausländern und sozial Schwachen abzielen.

Nicht das humanitäre Hereinlassen der Flüchtlinge im Jahr 2015 war der Skandal, sondern der aktuelle seelenlose Umgang mit Menschen in Not. Seit 2014 sind 18 000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Angesichts des Ausmaßes dieser Tragödie sind wir wohl abgestumpft. Ich unterstütze die Bestrebungen von Aktivisten, die beim Strafgerichtshof in Den Haag Anklage gegen die EU und Spitzenpolitiker wie Juncker, Merkel und Macron eingereicht haben. Sie werfen ihnen Mord durch unterlassene Hilfeleistung vor. Auch die Rückführung von im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen nach Libyen sehen sie als Verbrechen an, da die Politiker über die Zustände in den Lagern genau informiert sind und Libyen keineswegs ein sicheres Herkunftsland ist. Es ist ungewiss, ob der Strafgerichtshof die Ermittlungen überhaupt einleitet, mit der Aktion kann aber eine Sensibilisierung angestoßen werden.

Ernst Geilenkirchen, Kelberg

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