Wohl bekomm's!

Wir laden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, zum Dialog ein. Sagen Sie uns Ihre Meinung! Das Motto: Leser fragen - die Chefredaktion antwortet.

Erwin Ries aus Langsur meint zum Dioxin in Lebensmitteln: Das neue Jahr ist erst wenige Tage alt, und die Medien sind überglücklich - ein Skandal! Wie immer: unser Essen. Diesmal dreht sich alles um das Ei. Die Hühner sind's, sie vergiften uns. Unglaublich! Drahtwürmer im Fisch, BSE bei Rindern, Schweinepest, Käfighaltung ... Und was machen wir Landwirte? Statt uns um Hühner, Schweine, Milchkühe oder Pferde zu kümmern, sitzen wir im Büro. Füllen Antrag um Antrag aus, damit wir an die Ernte (den Geldsegen) der EU kommen. Vor einigen Jahren noch: heile Welt, Arbeit auf dem Feld, glückliche Bauern in freier Natur. Heute: Das Ei kostet acht Cent, der Liter Milch 25 Cent. Was ist aus uns geworden?

Zum selben Thema schreibt Hans Simon aus Kordel in der Rolle des "Schweinchens Heinzi": Schon schlimm genug, dass wir Schweine sind, jetzt sind wir auch noch versaut. Aber es hat auch etwas Gutes, dass man mit uns Schweinen solche Sauereien macht, denn man hat uns wenigstens nicht mehr zum Fressen gern. Und das bewahrt viele meiner Artgenossen vor dem Bolzenschuss. Vorerst, versteht sich. Weil der Mensch so vergesslich ist, haben wir lediglich Aufschub. In der Theke landen wir sowieso. Ich hab' da mal eine Frage: Kann es sein, dass die wirklich versauten Schweine zweibeinig sind?

Lieber Herr Ries,

lieber Herr Simon,

vielen Dank für Ihre Zuschriften. Gute Nachrichten laufen nicht weg, und schlechte lassen sich nicht verjagen, sagt der Milchmann Tevje im Musical "Anatevka". In der Medienbranche heißt es lapidar: Gute Nachrichten sind schlechte Nachrichten. Ist das wirklich so, und wenn ja, warum?

Mord und Totschlag, Krieg und Katastrophen, faule Eier und Gammelfleisch verkaufen sich besser als Mitteilungen aus der Welt des Guten, Gerechten, Großartigen. Eine uralte Erkenntnis. "Diu boesen maere werdent wît. Daz guote maere schier gelît." Verse des Dichters Freidank, mittelhochdeutsch, fast acht Jahrhunderte alt. "Böse Nachricht nimmt immer zu. Gute Nachricht kommt bald zur Ruh."

Die Neigung, sich mit beunruhigenden Themen zu befassen, ist wohl in den Genen angelegt. Die Wissenschaft sagt: Auf Schritt und Tritt waren die Jäger und Sammler der Vorzeit tödlichen Gefahren ausgesetzt. Sie überlebten, weil sie Nachrichten austauschten und lernten, sich vor Ungemach zu schützen. Wie mache ich Feuer? Wo ist die nächste Quelle? Wie erlege ich ein Mammut? Warum sollte ich lieber davonlaufen, wenn ein Säbelzahntiger naht?

Alles, was "anders" ist als der Alltag, signalisiert: Gefahr! Informationen darüber sind also wichtig, während die Normalität meist nicht der Rede wert ist.

Die Urinstinkte schlagen auch im 21. Jahrhundert Alarm, etwa wenn behauptet wird, der Klimawandel bedrohe Haus und Herd oder gar den Fortbestand der Menschheit. Oder wenn wieder einmal vergiftete Lebensmittel auf den Tellern der Verbraucher landen. Das geht jeden an, das mahnt zur Vorsicht.

Die Redakteure des TV sichten, bewerten und bearbeiten jeden Tag Tausende von Meldungen. Darunter viele "boese maere". Aber: Wir suchen nicht gezielt nach schlechten Nachrichten, um miese Stimmung zu verbreiten und die Leser zu erschrecken.Sondern bilden die Welt ab, wie sie ist, beschreiben, was sich ereignet, erklären, warum es passiert. Und wenn "guote maere" zu vermelden ist, dann tun wir das mit Freuden (alles in allem deutlich häufiger als umgekehrt!).

Der jüngste Dioxin-Skandal: erst vage Informationen, dann immer mehr Fakten, schließlich Gewissheit. Berichte, Analysen, Interviews, Kommentare - und Antworten auf die drängenden Fragen: Was ist das für ein Teufelszeug? Wer steckt hinter den mutmaßlich kriminellen Machenschaften der Futterhersteller? Warum versagen die Kontrollen? Wie können wir uns schützen?

Immer im Blick: Ist die Region betroffen? Unsere Reporter haben die Manager des Schlachthofs Simon-Fleisch in Wittlich zur Krise interviewt. Den Tierfutter-Händler Reinhold Barthel aus Niederlauch zu Wort kommen lassen. Eine Geschichte über den Landwirt Lambert Lehnertz aus Habscheid gemacht, der für artgerechte Tierhaltung bekannt ist. Und so weiter. Das journalistische Ziel: erklären, erklären, erklären - und die Leser anregen, das eigene Verhalten zu prüfen.

Warum heulen die Deutschen bei jedem neuen Lebensmittel-Skandal auf, schwören der ungesunden Ernährung ab, kaufen plötzlich wie wild Bio-Eier und Öko-Fleisch, um nach kurzer Zeit doch wieder rückfällig zu werden und zur industriell gefertigten Nahrung zu greifen?

Niemand weiß es. Weil es so bequem ist? So preiswert? Oder hat das gar mit tief verwurzelten Überzeugungen zu tun? Immerhin steht schon in der Bibel (Erster Brief des Paulus an die Korinther, 10,25): Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst, und forscht nicht nach, damit ihr das Gewissen nicht beschwert. - Wohl bekomm's!

Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur

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