Zu normal

Theater

Zur Berichterstattung über den früheren und den künftigen Intendanten des Theaters Trier:
Was ist schon normal? Für eine Caprice halten es meine Freundinnen aus Nizza, München und vom Bodensee, dass ich ausgerechnet Trier als Wohnsitz im Alter gewählt habe. Und mit welcher Verve ich auch diesen kritteligen Lebensakrobatinnen immer wieder unseren Balduin von Luxemburg vorgehalten haben mag, der in seinen fünfzig Jahren als Trierer Bischof unter anderem Königs- und Kaisermacher war, mit ebenso großer innerer Genugtuung habe ich die manchmal dem Mondänen zu sehr nachgebenden Freundinnen auf den wahrhaft revolutionären Geist verwiesen, der mit dem vormaligen Intendanten Sibelius durch unser zu Unrecht als spießig verschrienes Städtchen wehte.
Ohne dass ich mein Befremden verschweigen will, dass der Volksfreund als meinungsbildendes Blatt unserer Region das Wirken Sibelius' wenig wohlwollend begleitet hat, ganz uneingedenk dessen, um wie viel mehr künstlerisches Tun des die Bürger Verstörenden als des sie in ihren Werthaltungen unentwegt Bestätigenden bedarf. Wie wenig die Mitarbeiter des Volksfreunds sich auf das Ansinnen des unkonventionellen Österreichers einzulassen bereit waren und sind, war auch bei der Präsentation von späten Wortmeldungen Sibelius' in den letzten Tagen zu spüren. Um so lobenswerter ist die freudige Erwartung, die in einem ausführlichen Gespräch mit dem neuen Intendanten Manfred Langner zum Ausdruck kam. Bei allem von ihm markant hervorgehobenem Pragmatismus besaß Herr Langner die Vornehmheit, keine Schuldzuweisungen an seinen Vorgänger vorzunehmen und stattdessen mit Blick auf das Geschehene zu konstatieren: "So darf mit einem Theater nicht umgegangen werden." Und sein Plädoyer dafür, Theater für das Publikum initiieren zu wollen, ist aller Ehren wert, sofern hier nicht ein Kotau vor dem allzu Gefälligen gemeint ist, sondern ein leidenschaftlicher Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums dafür, was es zutiefst angeht. Weniger allerdings in Richtung auf den zitierten Trainer als zur Abgrenzung von seinem Vorgänger scheint der einprägsamste Satz der Selbstcharakterisierung, die Langner gibt, zu sein: "Ich bin der Normale."
Wie überaus dankbar dieser Satz rezipiert und gleich in den Titel des Artikels übernommen worden ist, rückt mich ein wenig von meiner regionalen Zeitung weg und meinen scharfzüngigen Freundinnen näher, denen Trier zu normal ist. Und dort willst du wohnen? Dabei schwingt aber stets mit, dass eine Caprice eine lässliche Sünde ist und sogar von einigem Charme. Capricen sind eben nicht normal. Außer für Leute, die nicht normal sein wollen.
Luise Battenberg
Trier

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