Zwischen Kitsch und Kostbarkeiten

Als sich mir vor langen Jahren zum ersten Mal die Gelegenheit bot, einen großen Flohmarkt zu besuchen, sagte ich gerne zu. Da der Erfolg einer Veranstaltung im Freien weitgehend wetterabhängig ist, hatte auch Petrus seinen Beitrag zum Gelingen geleistet und den Tag unerwartet und sonnig gestaltet.


Der große Platz, wochentags als Parkfläche genutzt, hatte heute ein ganz anderes Gesicht, und dieses Gesicht gefiel mir auf den ersten Blick. Ein Hauch von Jahrmarkt lag über den bunten Ständen, die sich zu breiten Gassen aneinandergereiht hatten. Auf schlichten Tischen teilten sich betagte Kostbarkeiten ihren Platz mit wertlosem Plunder. In welche Kategorie dieses oder jenes einzuordnen war, lag wie immer ausschließlich im Ermessen des Betrachters.
Meine Tochter und ich tasteten uns langsam von Stand zu Stand vor. Etwas Bestimmtes suchten wir nicht. Plötzlich zog mich ein abgegriffener, grauer Karton, der leicht übersehbar am Boden stand, in seinen Bann. Ich schob billige Schundliteratur, die nicht einmal durch ihr Alter aufgewertet wurde, ein wenig zur Seite, griff behutsam nach Werken alter Meister und entschied mich schließlich für ein stark ramponiertes Exemplar aus dem Jahre 1947 von Conrad Ferdinand Meyer.
Noch um einige Jahre älter waren an einem anderen Stand die Zeugen der Kriegszeit. Wenn sie reden könnten, diese grauen, zerkratzten Stahlhelme, diese robusten, pelzigen Feldflaschen, sie würden von Angst und Grauen, von unbeschreiblichem Leid, von Kälte, Verwundung, Gefangenschaft und Tod berichten ... Aber sie schweigen still, und gekauft werden sie wohl auch nur höchst selten.
Mein Blick fiel nun auf einen zweckentfremdeten Schuhkarton. Er war gefüllt mit Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Vaterlandes. Zwischen Wehrpässen, Reichsmark und vergilbten Postkarten, von denen viele das unselige Emblem jener Jahre wie einen Glorienschein über Landschafts- und Städteaufnahmen trugen, entdeckte ich einen offensichtlich bisher sorgsam aufbewahrten Feldpostbrief. Ich zog den Brief ein wenig aus der Hülle und las mühsam ein paar Worte in deutscher Schrift.
"Ihr Lieben! Lange habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Ihr sollt wissen, dass es mir gut geht ..."
Weiter mochte ich nicht lesen. Nicht einmal diese wenigen Zeilen hätte ich meiner Neugier erlauben dürfen. Außerdem wagte ich, den zweiten Satz ein wenig zu bezweifeln. Meine Tochter schien meine Gedanken erraten zu haben, als sie sagte: "So etwas gehört nicht auf einen Flohmarkt!"
Beim Weitergehen dachte ich, dass auch die Stände mit fabrikneuen, aber billigen Kleidungsstücken sowie bunt lackierte Nippesfiguren aus neuester Zeit hier fehl am Platz seien. Der Begriff "Kitsch" bedeutet bekanntlich so viel wie: Zu schön, um wahr zu sein.
Diese hier schienen mir allerdings sogar zu hässlich, um wahr zu sein. Ich begann, die deplatzierten Waren einfach zu ignorieren, und schenkte meine ganze Aufmerksamkeit ausgedienten, liebenswerten Küchengeräten wie altehrwürdigen Kaffeemühlen, verbeulten Milchkannen, angeschlagenen Steinguttöpfen, kohlrabenschwarzen Gusseisenpfannen und angeknackstem Kaffeegeschirr. Als weich und anschmiegsam kann man die starren Vorläufer unserer Bettflaschen sicher nicht bezeichnen. Aber sie leisteten damals, in der noch weitgehend zentralheizunglosen Zeit, hochgeschätzte Dienste. Die Bügeleisen von heute haben auch nur noch in der Form Ähnlichkeit mit den schwergewichtigen, unhandlichen Ungetümen von einst. Waffeleisen und Warmwasserbereiter - Letztere manchmal als "Schiffchen" bezeichnet - wurden direkt in die Herdfeuerstelle eingelassen, ebenso wie Töpfe und Wasserkessel. Deutlich haben Feuer und Ruß ihre Spuren hinterlassen. Die Zeit flog mit meinen Träumen davon. Doch irgendwann signalisierten selbst die tapfersten Füße: Sollten wir nicht langsam ...? Einverstanden! Dennoch konnten wir uns kaum losreißen vom Anblick schwerer Waschschüsseln mit Krügen aus Porzellan, von marmorierten Glaslampen mit verblassten Quasten, dem hölzernen Butterfass im Ruhestand und den Filzpantoffeln von anno dazumal.
Auf dem Weg zum Ausgang bot sich uns noch ein besonderer, unerwarteter Anblick. Da stand eine herrliche Ikone mit dem Antlitz der Gottesmutter einträchtig neben einem Wandteller aus Messing, in den eine Koransure eingestanzt worden war. Auch wenn beide aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen kamen, gemeinsam boten sie für mich ein Bild des Friedens.
Zu Hause packten wir behutsam ein paar kleine Schätze aus, um angemessene Ehrenplätze für sie auszusuchen.

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