Macht und Verlust

Nein, die heiße Phase hat noch nicht begonnen, aber die Umtriebigkeit in allen politischen Lagern des Landes ist bereits unverkennbar.

Die ersten Vorboten des Wahlkampfs haben uns erreicht. Die Bundeskanzlerin hat sich diese Woche bei CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner in Maria Laach blicken lassen, um der Öffentlichkeit auszurichten, dass es dieses Mal große Chancen auf einen Politikwechsel in Rheinland-Pfalz gibt.

Ministerpräsident Kurt Beck ignoriert derweil seine Kontrahentin so gut er kann. Stattdessen spöttelt er während seiner Sommerreise durchs Land vergnügt über die Verfallserscheinungen bei den total zerstrittenen Linken.

Selbst die strategischen Spielchen um den Eifeler CDU-Abgeordneten Michael Billen, dessen Spitzel-Affäre von der SPD offenbar so lange am Köcheln gehalten werden soll, bis sie zum harten Wahlkampfthema taugt, sind angesichts dessen, was sich gerade im Nachbarland Baden-Württemberg tut, kaum mehr als Geplänkel.

Auch dort finden im kommenden März Landtagswahlen statt. Und erstmals seit mehr als 50 Jahren droht der CDU nach letzten Umfragewerten der Machtverlust. Demnach liegt Rot-Grün zurzeit knapp vor dem schwarz-gelben Regierungsbündnis.

Ausgerechnet Ministerpräsident Stefan Mappus, der der Bundeskanzlerin gebetsmühlenhaft vorwirft, den konservativen Flügel der Partei zu vernachlässigen, muss jetzt erleben, dass die CDU-Rechte auf die Bevölkerung offenbar doch nicht so viel Charme ausstrahlt, wie er immer behauptet hatte.

Was vordergründig als Bestätigung für Merkels auf Mitte getrimmten innerparteilichen Kurs gewertet werden könnte, kann sich für die Bundeskanzlerin aber ebenso gut zum Desaster entwickeln. Denn mit Baden-Württemberg fiele eine der bisher sichersten CDU-Bastionen.

Wenn jetzt die dortigen Christdemokraten ihre Sympathieverluste mit dem desolaten Erscheinungsbild der schwarz-gelben Bundesregierung zu erklären versuchen, ist das nicht einmal die halbe Wahrheit. Vielmehr hat die baden-württembergische Führungsriege, und mit ihr übrigens auch die notorisch schwache SPD-Opposition, den Unmut der Bevölkerung gegen das milliardenschwere Bahnprojekt Stuttgart 21, das den Grünen die Wähler in Scharen zutreibt, völlig verkannt oder besser: arrogant ignoriert.

Spätestens seit den Kommunalwahlen im Juni vergangenen Jahres, als die Grünen mit sensationellen 25, 3 Prozent stärkste Fraktion im Stuttgarter Rathaus wurden, hätte bei der Landesregierung der Groschen fallen müssen. Aber statt der Bereitschaft zu mehr Flexibilität und dem ein oder anderen Kompromiss bei der Ausgestaltung des Eisenbahnknotens, ließ man jetzt - früher als erwartet - die Abrissbagger anrücken.

Die Quittung sind wütende Massenproteste, eine siebenmonatige Zitterpartie für das Regierungsbündnis und ein erstmals seit Jahrzehnten völlig offener Wahlausgang.

Ähnliche Volksbewegungen müssen die regierenden Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz trotz der vor sich hin schwelenden Nürburgring-Affäre wohl nicht fürchten. Und doch ist Baden-Württemberg ein Beispiel dafür, wie schnell man durch mangelnde politische Sensibilität und derbes Durchregieren Vertrauen verspielen kann.

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