Mensch ... Jogi Löw!

Jetzt sitze ich hier am Dienstagnachmittag und soll eine Kolumne über Sie schreiben, die erst morgen nach dem Brasilien-Spiel zu lesen sein wird. Das ist ungünstig, weil ich – anders als all’ die Spezialisten, die sich nach dem Spiel äußern werden – nicht so tun kann, als hätte ich alles schon immer gewusst.

Wenn ein Moment des Glücks Ihrer Mannschaft einen Sieg beschert, vielleicht sogar im Zufall des Elfmeterschießens, und wenn Sie im Finale noch einmal das bessere Ende erwischen, dann werden am Montag Millionen Bundestrainer und die versammelte Expertenbrut von Bild bis Glotze sagen: Herr Löw, Sie sind ein Genie. Grandios, wie Sie seit Jahren immer wieder auf neue Spieler setzen. Raffiniert, wie Sie die Mannschaft im Laufe des Turniers variiert haben. Was für eine Intuition, rechtzeitig Ihren Genießer-Fußball durch gute alte deutsche Ergebnis-Orientierung zu ersetzen. Wie clever, nur einen Stürmer mitzunehmen, diesen Kießling zu Hause zu lassen und stattdessen auf den alten Fuchs Klose zu setzen. Aber eigentlich haben wir es im Grunde immer gewusst.
Doch nehmen wir an, der letzte Elfmeter geht daneben, die Brasilianer kriegen die Neymar-Euphorie oder der Mexikaner entpuppt sich als Heimschiedsrichter. Irgendein beliebiges Pech halt, wie man es jederzeit haben kann. Dann werden Ihre Lobredner über Nacht umstellen. Warum kann die deutsche Mannschaft unter Löw keinen Titel gewinnen? Wieso haben wir nur einen Stürmer mitgenommen und Kießling zu Hause gelassen? Wie konnte man jahrelang so viel neue, unerfahrene Spieler ausprobieren? Was war das für ein dilettantisches Hin und Her in der Mannschaft während des Turniers? Ist Klose nicht viel zu alt und zu satt? Warum sind Sie nicht bei Ihrem brillanten Genießer-Fußball geblieben? Man wusste doch, dass das nicht gutgehen kann.
Tja, so oder so wird es kommen. Deshalb sage ich Ihnen jetzt, vor dem Spiel: Hochachtung vor Ihrer Arbeit. Seit Sie mitmischen, also seit 2006, waren die Deutschen bei zwei Europa- und drei Weltmeisterschaften unter den besten Vier. In Folge. Ich wüsste nicht, dass es das schon mal gegeben hat. Sie haben viele junge Talente gefördert und einiges für den Spaß am Fußball getan. Sie sind nie durch Unsportlichkeit oder intellektuelle Tieffliegerei aufgefallen. Also egal, wie es ausgeht: Vielen Dank! Und das gilt auch morgen noch. Dieter Lintz

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