Rezension Bei Scotch und Kerzenlicht

Legendär sind die Duo-Alben, die in den letzten Jahren von Ella Fitzgeralds Tätigkeit entstanden - mit dem Gitarristen Joe Pass oder dem Pianisten Oscar Peterson beispielsweise: intime Unterhaltungen zu zweit, eine Stimme, ein Klavier, mehr braucht es nicht, um genuinen Jazz zu erzeugen (was den Rang der Combo- und Bigband-Aufnahmen der Künstlerin freilich keinesfalls schmälern soll).Dass die First Lady of Jazz allerdings auch schon in jenen Jahren, als ihre Karriere richtig Fahrt aufzunehmen begann, den Kammermusikton schätzte und beherrschte, dokumentiert eine neu aufgelegte Doppel-CD, die ihre frühen musikalischen Ausflüge zu zweit dokumentiert - zum ersten Mal komplett.

 Ella Fitzgerald, Complete Piano Duets 1950-1960. Essential Jazz Classics 55724

Ella Fitzgerald, Complete Piano Duets 1950-1960. Essential Jazz Classics 55724

Foto: in-akustik

Die ältesten Aufnahmen mit Ellis Larkins von 1950 stammen aus der LP "Ella Sings Gershwin" (die Original-Vinyl-Scheibe wird inzwischen zu Liebhaberpreisen gehandelt) und sind quasi ein Vorgeschmack auf das knapp zehn später erschienene und von Norman Granz produzierte "George und Ira Gershwin Song Book" mit voller Bigband- und Streicherbesetzung. Die Duo-Aufnahmen müssen sich dabei keineswegs vor den großorchestralen Bearbeitungen verstecken; im Gegenteil, die Evergreens der Gershwin-Brüder entwickeln in dieser reduzierten Fassung einen ganz eigenen, sehr melancholischen Charme. Musik für ein Glas Scotch bei Kerzenlicht.


Interessant an dieser Doppel-CD ist vor allem die Tatsache, dass man hier der Sängerin quasi bei ihrem allmählichen Wechsel von der jugendlich-unbekümmerten Mädchenhaftigkeit, die sie bei den Aufnahmen mit der Band ihres Entdeckers Chick Webb an den Tag legte, zur nachdenklicheren, "lebensweiseren" Künstlerin zuhören kann. Mit damals Anfang 30 hat sie sich bereits ein Mitspracherecht für die Auswahl ihrer Songs gesichert; belanglose Tagesschlager wie noch wenige Jahre zuvor finden sich in ihrem Repertoire seitdem kaum noch, was für ihre Karriere einen qualitativen Quantensprung bedeutete.


Dass Ella Fitzgerald auch in mehreren (mittlerweile ziemlichen vergessenen) Kinofilmen mitwirkte, dürfte nicht allzu bekannt sein. Bei einem davon, "Let no man write my epitaph", war sie immerhin an der Seite von Burl Ives, Shelley Winters und Jean Seberg zu sehen. Besser: zu hören, denn als Barsängerin Flora trug sie eine Handvoll Evergreens vor, darunter die promillevernebelte Einsamkeitshymne "Make it one for my Baby", für die Fitzgerald, die zeitlebens kaum Alkohol trank, genau die rechte wehmutsvolle Stimmung trifft.

Paul Smith, der sie bei diesen Songs begleitete, war von ihrer Arbeit begeistert: "Die meisten Sänger hätten sich wer weiß wie angestrengt, um Songs wie ,Who's sorry now?', ,Angel Eyes' oder ,September Song' ,richtig' zu interpretieren. Sie hat einfach nur gesungen, ganz natürlich und ohne jegliche Anstrengung." Ella eben. Rainer Nolden

Ella Fitzgerald, Complete Piano Duets 1950-1960. Essential Jazz Classics 55724, über in-akustik.

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