Respekt!

Schon seit einer geraumen Weile geistert ein Begriff durch die deutschen Feuilletons, der den Zustand unserer Gesellschaft ziemlich treffend beschreibt: Empörungskultur. Ursprünglich war damit ein mutiges Aufbegehren gegen Unrecht, die Abkehr von Duckmäusertum gemeint.

Durch ihre beliebige Interpretation ist diese Haltung allerdings ins Unverbindliche abgedriftet, äußert sich eher als individuelle Befindlichkeit denn als gesellschaftspolitisches Engagement. Je komplexer sich unser Zusammenleben gestaltet, desto größer scheint das Bedürfnis, sich des eigenen Weltbilds zu vergewissern, es gegen andere zu verteidigen. Keine Forderung ist mir in letzter Zeit häufiger begegnet als die nach einem Verbot. Das Dumme ist nur, dass jedem etwas anderes nicht passt. Es sind nicht nur die Sendungsbewussten, die Fanatiker und Berufsquerulanten, die außerhalb bestehender Gesetze immer neue Ächtungsfantasien entwickeln. Wie oft hören wir uns selber sagen: So etwas müsste verboten werden!? Den Gegenentwurf zu grassierender Rechthaberei und geistigem Schrebergärtnertum haben uns vier friedliche Wochen lang die Veranstaltungen zur Heilig-Rock-Wallfahrt geliefert, die an diesem Sonntag zu Ende geht. Hier erlebte mehr als eine halbe Million Besucher aus aller Welt, wie Gastfreundschaft und Respekt jenseits aller Floskelhaftigkeit buchstabiert werden können. Reliquienverehrung neben Kirchenkritik und künstlerischen Provokationen, Einkehr und traditionelle Gottesdienste neben Volksfesten mit jungem, unbekümmertem Publikum, das Bekenntnis zur Ökumene neben dem erzkonservativen Katholizismus der Piusbrüder, gläubige Pilger neben Event-Touristen. Gegensätze, wohin man schaute. Und alles unter dem Dach und im Namen des Bistums Trier, das sich nicht frömmelnd abschottete, sondern ein eindrucksvolles Zeichen für Meinungs- und Glaubensfreiheit gesetzt hat. Isabell Funk, Chefredakteurin

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