Siegel ohne Wert

Früher war alles einfacher. Also ganz früher. Vor etwa 140 Jahren war der Beruf des Fabrikarbeiters in Deutschland eine gefährliche Sache. Ständig konnte einem eine Maschine um die Ohren fliegen. Als Konsequenz wurden die ersten Dampfkesselüberwachungsvereine (Düv) gegründet. Sie sollten für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz sorgen.

Aus den Düv entstanden dann die Technischen Überwachungsvereine (Tüv). Heute stehen dahinter Prüfkonzerne, die weltweit operieren und von Brust-Implantaten über Investmentfonds oder Atomkraftwerke so gut wie alles zertifizieren.

Dass das Vertrauen in diese Siegel nicht immer gerechtfertigt ist, mussten beispielsweise etliche Frauen beim PIP-Skandal feststellen. Sie hatten sich ihre Brüste mit den Tüv-geprüften Silikoneinlagen der französischen Firma PIP vergrößern lassen. Dumm nur, dass darin ein derart minderwertiges Silikon steckte, dass bei vielen Frauen mittlerweile die Implantate geplatzt sind. Der betroffene Tüv Rheinland vermeldete daraufhin: Man sei selbst getäuscht worden. Bei der inzwischen aufgelösten PIP sei nur das Qualitätssicherungssystem der Firma geprüft worden. Das Produkt selbst wurde gar nicht untersucht.

Ihren Glauben an Prüfsiegel haben mittlerweile auch viele Anleger verloren. Zuletzt machte vor allem der Fall S&K Schlagzeilen. Der Tüv Süd hatte der Frankfurter Immobilienfirma einen Immobilienbestand mit einem Verkehrswert von mehr als 100 Millionen Euro bescheinigt. Dass sie mit ihrem Urteil vielleicht ein klein wenig danebengelegen haben dürften, schwante den Prüfern am 19. Februar. Bei einer bundesweiten Razzia wurden die S&K-Gründer sowie Geschäftsführer von befreundeten Firmen verhaftet. Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Verdacht auf banden- und gewerbsmäßigen Betrug. In der Folge gingen etliche Gesellschaften und Immobilienfonds in die Insolvenz. Im schlimmsten Fall haben die Anleger mehr als 100 Millionen Euro verloren.
Verantwortlich für die Vergabe des Prüfsiegels war in diesem Fall die Tüv Management Service GmbH. Sie hatte die An- und Verkaufspreise der Immobilien schlicht auf der Grundlage von Dokumenten aufgelistet, die S&K vorgelegt hatte. Grenzenloses Vertrauen bewiesen die Prüfer in diesem Fall auch in die Wertgutachten eines Sachverständigen. Eine Ansicht, die die Staatsanwaltschaft allerdings nicht teilt. Der Sachverständige sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft.

Schon früher haben Tüv-Firmen bei der Bewertung von Geldanlagen eher glücklos agiert. Nach massiven Protesten zogen sich bereits der Tüv Rheinland und der Tüv Nord aus diesem für sie lukrativen Markt zurück. Zu einem vernichtenden Urteil kommt denn auch eine Studie des renommierten Mathematikers Werner Siepe, der auch für die Stiftung Warentest tätig ist. Sein Fazit: "Im Finanzbereich sind Tüv-Siegel nur ein Marketing-Gag." Vertrauen Anleger nur darauf, sind sie verloren. t.zeller@volksfreund.de

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