Standpunkt: Dramen mit Traumpartnern

Trier · Wie vorsichtig man in der Politik mit dem Begriff Wunschpartner sein sollte, führt uns die schwarz-gelbe Bundesregierung seit zwei Jahren vor. Mit Ach und Krach hat Angela Merkel am Donnerstag eine Kanzlermehrheit für die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms errungen.

Das war Schwerstarbeit im Beziehungsdrama zwischen Union und FDP. Die einmal so hohen gegenseitigen Erwartungen sind schnell in Ernüchterung, Enttäuschung und offenes Misstrauen umgeschlagen. Und das ist nicht einmal überraschend. Denn die ursprüngliche Lagerbildung - hier das konservative, dort das linke Spektrum - existiert so gar nicht mehr. Trotzdem halten Parteien, aber auch Stammwähler noch gerne an diesem Muster fest. So gelten beispielsweise nach wie vor die Grünen als der natürliche Partner der SPD. Das hat etwas Reflexhaftes und ist zugleich auch Vorbereitung auf den nächsten Bundestagswahlkampf. Aber schauen wir beispielsweise nach Baden-Württemberg. Dort steht das grün-rote Bündnis nach kaum mehr als 100 Tagen schon vor der Zerreißprobe. Vor der Volksabstimmung Ende November um die weitere finanzielle Beteiligung des Landes am milliardenschweren Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 gibt\'s handfesten Streit im Regierungslager. Die Grünen, angetreten, um den Bahnhof zu verhindern, aber verheiratet mit den roten Projektbefürwortern, wollen sich gegen alle Absprachen und sehr zum Verdruss der SPD verstärkt dem außerparlamentarischen Widerstand anschließen.
Damit hoffen sie, in letzter Minute die Mehrheit der Bevölkerung doch noch auf ihre Seite zu ziehen. Denn nach jüngsten Umfragen müssen sich die Bahnhofsgegner auf eine deutliche Niederlage einstellen. Dass Koalitionäre sich auch einmal gegenseitig düpieren, gehört zum politischen Alltag. Aber wie skurril ist das denn, dass sich die größte Regierungspartei außerparlamentarischen Beistand sucht, weil sie nicht nur den eigenen Bündnispartner, sondern auch die gesamte Opposition gegen sich weiß?
Darin offenbart sich, dass das Markenzeichen der Grünen zugleich auch ihr Dilemma ist: Wer sich schicksalhaft an Einzelprojekte kettet, kann sich Kompromisse ohne dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust nicht mehr leisten. Ähnliches erleben wir gerade in Berlin - wenn auch auf niedrigerem Niveau. Dort stehen nach den Senatswahlen am 18. September Koalitionsgespräche an. Es reicht knapp für Rot-Grün oder satt für Rot-Schwarz. In der Hauptstadt, die wahrlich größere Probleme hat, wurde - ohne Not - ebenfalls ein Bauvorhaben ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt Es geht um 3,2 Kilometer Stadtautobahn, die die Sozialdemokraten als Infrastrukturmaßnahme für unverzichtbar halten, die Grünen aber strikt ablehnen und noch kurz vor der Wahl mit so kernigen Worten wie ,,kein Koalitionsvertrag, der den Weiterbau der A 100 zum Inhalt hat" zu einem unüberwindlichen Graben erklärt haben.
In einem Bündnis mit der CDU hätte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit an dieser Stelle keine Schwierigkeiten. Auch beim umstrittenen Flughafenausbau sind die Roten und die Schwarzen sich näher als die Roten und die Grünen. Dennoch ist eine rot-grüne Koalition wahrscheinlich. Und schon jetzt ist klar: Einer wird dabei von vornherein als Verlierer feststehen. Sehen so Wunschpartner aus? Im seit kurzem rot-grün-regierten Mainz geht\'s da zwar noch etwas beschaulicher zu. Dennoch entwickeln sich auch hier - beispielsweise am Flughafen Hahn - jenseits der Koalition ganz andere Bündnisse. SPD und CDU sind für Bemühungen um Erhalt, Weiterbetrieb und einen möglichen Ausbau des Airports, die Grünen haben grundsätzliche Bedenken gegen Nachtflüge und Billigflieger.
Auch bei Hunsrückbahn oder Lückenschluss A 1 senden Sozialdemokraten und Grüne völlig unterschiedliche Signale aus. Noch werden die Unstimmigkeiten heruntergespielt. Aber allzu lange kann die Koalition diese Entscheidungen nicht mehr vor sich her schieben, wenn sie sich nicht dem Vorwurf der Handlungsunfähigkeit aussetzen will. In einer Gesellschaft mit vielen Einzelinteressen werden auch die Schnittmengen in politischen Bündnissen immer geringer. Isabell Funk, Chefredakteurin

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