Standpunkt: Einem geschenkten Gaul...

Gute Vorsätze haben oft eine geringe Halbwertzeit. Gehören Sie auch zu denen, die sich für das noch junge Jahr persönliche Ziele gesetzt haben? Unbequeme dazu? Sind Sie drangeblieben? Eben.

Jahrelang war die politische Diskussion geprägt von der Selbsterkenntnis, dass wir über unsere Verhältnisse und auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben. Schon lange und immer noch. In den öffentlichen Haushalten wurden Schuldenbremsen eingezogen, die bittere Konsequenzen für etliche wünschenswerte, aber nicht mehr bezahlbare Leistungen, Initiativen oder Projekte haben und hatten. Die Rente mit 67 wurde eingeführt.

Die Überalterung der Gesellschaft mit ihren sozialen Folgen für alle Generationen galt als eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie ist es natürlich nach wie vor.

Die Rentenreform der großen Koalition konterkariert diesen Kurs auf fahrlässige Weise, findet aber breite Zustimmung. Eine Allensbach-Umfrage im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommt zu dem Ergebnis, dass rund drei Viertel der Deutschen quer durch alle Altersklassen die abschlagfreie Rente mit 63 nach 45 Arbeitsjahren befürworten, gleichzeitig aber daran zweifeln, dass die Renten in Zukunft sicher sind. Zu 79 Prozent stimmen die Befragten der These zu, der demografische Wandel sei ein großes Problem, um das man sich kümmern müsse. So widersprüchlich diese Aussagen sind, so willkommen sind staatliche Leistungen.

Nun ist die abschlagfreie Rente nicht der dickste Brocken im Rentenpaket, sie zeigt aber exemplarisch, mit welcher Nonchalance wir Gegenwart auf Kosten der Zukunft gestalten. Dass künftig immer weniger Junge für immer mehr Alte sorgen müssen, ist ja nun wirklich eine Binse. Dass Fachkräfte, die heute schon fehlen, auch morgen nicht auf den Bäumen wachsen, ebenso.

Gleichzeitig aber wird eine hysterische politische Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit geführt, also darüber, dass seit 1. Januar auch Rumänen und Bulgaren ohne Einschränkung in Deutschland arbeiten dürfen. Das Gespenst der Armutseinwanderung, die unsere Sozialsysteme aushöhlt, geht um, obwohl die Vergangenheit zeigt, dass gerade Migranten aus Osteuropa (Polen, Tschechen, Ungarn) unseren Arbeitsmarkt und unsere Sozialsysteme stärken. Wirtschaftsexperten werden nicht müde, auf das überwiegend hohe Qualifikationsniveau der neu zu erwartenden Zuwanderer zu verweisen. Aber die Diskussionen verstummen nicht.

Unser heutiger Wohlstand birgt sicherlich viele Ungerechtigkeiten im Detail. Aber ohne höhere Lebensarbeitszeit und ohne Zuwanderung können wir ihn sowieso abhaken. Isabell Funk, Chefredakteurin

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