Standpunkt: Gewaltige Diskrepanz

Der Prüfbericht über Missstände in deutschen Transplantationszentren, der diese Woche veröffentlicht wurde, hat keine großen Überraschungen gebracht. Zu den drei Einrichtungen in Göttingen, Leipzig und München, denen bereits vor der Untersuchung systematische Manipulationen nachgewiesen wurden, kommt nun auch noch das Zentrum in Münster hinzu.

Es soll sich in allen Fällen nicht, wie vielfach vermutet, um persönliche Bereicherung, also die Bevorzugung von zahlungskräftigeren Patienten gehandelt haben. Vielmehr seien die Motive in wachsendem Konkurrenzdruck und Eitelkeiten zu suchen. Auch wenn das etwas harmloser klingt und nicht gleich wieder das Bild vom gierigen Arzt heraufbeschwört, macht es die Sache nicht besser und wird zunächst einmal nichts an der gesunkenen Spendenbereitschaft ändern. Das anhaltende Misstrauen gegenüber der Transplantationsmedizin ist die bitterste Folge dieser Fehlentwicklung. Sie haben die 12 000 Schwerkranken, deren Überleben von einer Organspende abhängt, zu tragen. Dennoch ist es auch nicht so, dass vor dem Skandal die Spendenbereitschaft besonders ausgeprägt gewesen wäre. Im vergangenen Jahr beispielsweise starben bundesweit 869 582 Menschen. Es gab aber nur 1046 Organspenden. Das sind noch einmal 12,8 Prozent weniger als 2011. Insgesamt ist die Diskrepanz gewaltig, auch wenn sich natürlich nicht jeder Verstorbene zum Spender eignet. Gewiss ist es schwierig, einem so hochsensiblen Thema, in das die Verdrängung des Todes, diffuse Ängste, ethische Erwägungen oder schlimmstenfalls Gleichgültigkeit hin einspielen, mit nackten Zahlen zu begegnen. Aber den Betroffenen hilft nur eines: mehr Organspenden. Isabell Funk, Chefredakteurin

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