Standpunkt: Integrationspflicht für Europäer!

Wer hätte gedacht, dass 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Wort Frieden in Europa wieder eine so große Bedeutung erlangen würde. Der Frieden, der eben nicht so selbstverständlich ist, wie wir, die nach dem Krieg Geborenen, es bisher in bequemer Gewissheit voraussetzten.

Flüchtlingskrise und Terrorangst spalten die Europäische Union mehr als alle Probleme zuvor. In vielen Mitgliedsländern - auch in Deutschland - erstarken ultrarechte Kräfte, die dem naiven Irrglauben anhängen, man könne die Welt aus dem nationalen Schrebergarten aussperren, die sich andererseits aber gerne die Vorteile der Globalisierung zu eigen machen. Bei der Aufnahme von Asylsuchenden klafft eine breite Solidaritätslücke. Der Rückfall in nationalstaatliches Denken und wachsende Fremdenfeindlichkeit sind aber das exakte Gegenteil von der Idee eines stabilen Europas in Frieden und Freiheit. Einer Gemeinschaft, die füreinander und für Schutzsuchende eintritt und zudem als großer Staatenbund mehr Sicherheit bietet als viele einzelne sie je gewährleisten könnten. Spätestens der Russland-Ukraine-Konflikt sollte dies doch hinlänglich klar gemacht haben.

Rein theoretisch wäre die Integration von geschätzt 1,5 Millionen Flüchtlingen, die in diesem Jahr nach Europa kamen, bei einer Gesamtbevölkerung von 500 Millionen kein allzu großes Problem, würden sie nur gerechter aufgeteilt. Dazu bräuchte man nicht einmal die Türkei, die sich ihre Hilfe teuer bezahlen lässt. Aber einige Länder Osteuropas verschließen sich weiterhin hartnäckig einem bereits fest vereinbarten Verteilerschlüssel, der Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl mit berücksichtigt.

Es sind ausgerechnet jene Staaten, die aus den EU-Töpfen das meiste Geld beziehen. Polen und Ungarn wollen ,,diese Menschen nicht haben". Fertig. Zu den Verweigerern gehören auch die Nehmerländer Tschechien und die Slowakei.

,,Diese Menschen" verlassen ihre Heimat nicht aus Abenteuerlust. Sie begeben sich auf die gefährliche Flucht und in die Illegalität, um Terror und Kriegsgräueln zu entkommen. Es wird unbestritten gewaltiger Anstrengungen bedürfen, sie, die keine demokratischen Wurzeln, aber eine religiöse und weltanschauliche Prägung haben, die europäischen Freiheitswerten nicht entsprechen, in die Gesellschaft einzugliedern.

Aber wie sieht es denn mit diesen Freiheitswerten in Europa selber aus? Die neue nationalkonservative Regierung Polens ist - übrigens zum Entsetzen eines Großteils der eigenen Wähler - gerade dabei, rechtsstaatliche Prinzipien auszuhebeln. Eben erst hat sie das Verfassungsgericht mit linientreuem Personal besetzt. Außerdem plant sie, die staatliche Kontrolle über die Medien auszubauen und so dem Vorbild Ungarns zu folgen, das sich schon lange von der Grundrechte-Charta der EU verabschiedet hat. Darin verpflichten sich alle Mitgliedstaaten auf stabile Institutionen als Garantie für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und Freiheit, auf die Wahrung von Menschenrechten, die Achtung der Menschenwürde und den Schutz von Minderheiten.

Die Charta ist als Anforderungsprofil in vielem vergleichbar mit der Integrationspflicht für Flüchtlinge, wie sie die CDU Deutschlands unter Federführung der rheinland-pfälzischen Christdemokraten auf ihrem jüngsten Parteitag beschlossen hat. Höchste Zeit, dass auch im europäischen Binnenverhältnis verbindliche Übereinkünfte wirkungsvoll kontrolliert und Verstöße dagegen geahndet werden. Aber auch in diesem Punkt ist Europa zerstritten.

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