Standpunkt: Nicht der Nabel der Welt

Als sich am vergangenen Wochenende Kleriker, Wissenschaftler und Gläubige in Trier zum Forum ,,Geschieden-Wiederverheiratet" trafen, unterstrich die Basis nur einmal mehr, was die deutsche Bischofskonferenz bereits im Februar dem Vatikan berichtet hat. Eine von Papst Franziskus angeordnete Befragung der Katholiken zum Themenkomplex Familie, Sex und Moral hatte ergeben, dass die Sittenlehre der Kirche von ihren Mitgliedern entweder ignoriert oder rundheraus abgelehnt wird.

Die Befragung soll Grundlage für eine Sonderversammlung im Herbst in Rom sein. Allerdings haben nur die deutschsprachigen Bistümer die Ergebnisse mit der Forderung nach einem Neuansatz öffentlich gemacht. ,,Die Antworten aus den Bistümern" , heißt es in dem Dokument der Bischöfe, ,,machen deutlich, wie groß die Differenz zwischen den Gläubigen und der offiziellen Lehre vor allem hinsichtlich des vorehelichen Zusammenlebens, der wiederverheirateten Geschiedenen, der Empfängnisregelung und der Homosexualität ist." Bisher ist völlig offen, welches Gewicht die Stimmen aus dem deutschsprachigen Raum im Weltkonzert aller Katholiken überhaupt haben werden. Gut möglich, dass das, was den Gläubigen hierzulande auf den Nägeln brennt, in Afrika, Asien oder Südamerika, wo es teilweise um viel existenziellere Probleme wie Hunger, Armut oder Verfolgung geht, kaum Beachtung findet. Denn der deutschsprachige Raum ist nicht der Nabel der katholischen Welt. Sein Anteil an der Gesamtkirche liegt bei knapp drei Prozent. Wiederum nur etwa zwölf Prozent davon sind Kirchgänger. Und auch von denen dürfte sich lediglich ein Bruchteil mit der katholischen Lehre auseinandersetzen. Da sind die Gläubigen hierzulande gut beraten, nicht allzu konkrete Erwartungen in die Herbstversammlung zu setzen, zumal eine solche ,,Volksbefragung" an den Festen der mächtigen römischen Kurie rüttelt. Das machen allein die Formulierungen in dem Fragebogen deutlich, die teils so verdruckst und unbeholfen daherkommen, wie man es vom ansonsten sprachgewaltigen Klerus nicht gewöhnt ist. Sie stehen im krassen Gegensatz zu der klaren und weltzugewandten Rede, die wir von Papst Franziskus kennen. Dieser Papst, so spontan, unverstellt und unverkopft er wirken mag, hat - taktisch gewieft - mit der Befragung eine eindeutige Botschaft ausgesandt: Die katholische Kirche ist nicht die Kurie, das sind nicht ihre Würdenträger, ihre Gebäude und Latifundien. Die Kirche, das sind die Gläubigen mit all ihren Lebensbrüchen. Und die brauchen weder Gängelung noch Kontrolle, sondern Perspektive, Hoffnung, Heimat. Es wird eine Weile brauchen, bis dieses Signal auch in der römischen Kurie angekommen ist. Isabell Funk, Chefredakteurin

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort