Standpunkt: Querschüsse

So mancher Freundschaftsdienst erweist sich im Nachhinein als Bärendienst. Gerade arbeitet sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück laut Forsa-Umfrage ein bisschen aus dem Meinungstief heraus, da kommt Hilfe zur falschen Zeit.

Der frühere Parteichef Franz Müntefering äußert sich diese Woche entsetzt über den Verlauf des SPD-Wahlkampfes und beklagt wortgewaltig, dass die Partei und deren Führung Steinbrück von Beginn an völlig alleingelassen hätten. In der Sache hat der Bundestagsaussteiger und einstige Superstratege Müntefering ja recht. Auch in der Einschätzung, wie fatal es für das Ansehen der Sozialdemokratie ist, wenn sich heute viele Genossen von ehemaliger SPD-Regierungspolitik distanzieren. Aber welches Signal setzt Müntefering mit diesem öffentlichen Zornesausbruch denn fünf Wochen vor der Wahl? Er lenkt den Blick wieder auf Pannen und Fehler, die gerade am Verblassen waren. Bayerische Politiker müssen zurzeit doppelt kämpfen. Eine Woche vor der Bundestagswahl stehen im Freistaat Landtagswahlen an. Da überrascht es nicht, dass der für seine Unberechenbarkeit bekannte CSU-Chef Horst Seehofer wieder dicke Muskeln macht, um eine Schlagzeile zu landen. Eine PKW-Maut für Ausländer will er einführen. Ohne ein solches Zugeständnis unterschreibe er keinen Koalitionsvertrag mit der CDU. Basta. Die winkt genervt ab, handelt es sich doch nur um eine weitere Posse aus dem Seehofer\'schen Komödienstadl. Denn eine solch einseitige Maut würde erstens gegen Europarecht verstoßen und brächte zweitens nach Rechnungen von Experten nur marginale Einnahmen. Aber das Getöse aus Bayern ist natürlich bestens dazu geeignet, die Wähler wieder an die vielen Grabenkämpfe innerhalb der schwarz-schwarz-gelben Regierung zu erinnern. Ein dunkler Fleck aus der Vergangenheit geht nicht einfach weg, wenn man sich von ihm distanziert. Darüber können gerade Politiker ganze Arien singen. Die Pädophilie-Debatte aus ihrer Gründerzeit hat die Grünen eingeholt. Dass die Parteiführung sie nicht unter den Tisch zu fegen versucht, sondern selbst eine Studie über den Einfluss der Gruppe in Auftrag gegeben hat, die Mitte der 80er Jahre Sex mit Kindern, im Klartext und nach heutigem Verständnis Kindesmissbrauch, propagierte, ist wichtig, aber auch unvermeidbar. Immerhin weist diese Eigeninitiative auf eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit eigenen Verirrungen hin, die nicht mehr allzu häufig anzutreffen ist. Isabell Funk, Chefredakteurin

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort