Rainer Noldens Kolumne Kulturwoche Haben wir doch gleich gesagt – es klappt!

Glaskugelleser und Kaffeesatzleser, packt eure Utensilien ein und verzieht euch in den Raucherhof! Denn wir Kulturschaffenden, das soll hier mal in aller gebotenen Bescheidenheit festgestellt werden, sind ja streng genommen die einzigen, die nicht nur in die Zukunft sehen können und sie vorab schon gestalten, sondern auch die wenigen, deren Prophezeiungen sich tatsächlich erfüllen. Und dieses Talent, das Demnächst ins Hier und Jetzt zu holen und durchaus überzeugend zu beschreiben, inspiriert natürlich auch die Wissenschaftler. Schöngeist und Analysegehirn arbeiten sozusagen Hand in Hand – oder besser: Synapse in Synapse. Zugegeben, manchmal dauert es etwas länger, bis unsere Visionen und Ideen von den Einsteins und Hawkings endlich aufgegriffen werden. Aber wenn es erst mal so weit ist, dann geht echt die Post ab.

 Daisy (Cate Blanchett) und Benjamin Button (Brad Pitt) fahren im Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ auf einem Motorrad. Es geht um die wunderliche Geschichte eines Mannes, der jünger wird statt zu altern. Der Film kam im Januar 2009 in die deutschen Kinos.

Daisy (Cate Blanchett) und Benjamin Button (Brad Pitt) fahren im Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ auf einem Motorrad. Es geht um die wunderliche Geschichte eines Mannes, der jünger wird statt zu altern. Der Film kam im Januar 2009 in die deutschen Kinos.

Foto: picture-alliance/ dpa/Warner Bros

Wir schreiben das Jahr 1966. In jenem drehte der Regisseur Richard Fleischer einen Film, in dem ein Wissenschaftler ins Koma fällt. Die Ärzte stellen ein inoperables Blutgerinnsel im Gehirn fest. Ein ­Chirurgenteam wird daraufhin in einer streng geheimen Mission im Rahmen eines Militärexperimentes, in dem Materie verkleinert wird, mitsamt eines Spezial-U-Bootes auf die Größe einer Mikrobe geschrumpft und auf eine Reise in das Innere eines Menschen geschickt.

Klingt in der Tat verrückt, nicht wahr? „Naiver utopischer Abenteuerfilm, in der Gestaltung mittelmäßig und durch die Verbreitung philosophisch verbrämter Plattheiten eher langweilend als anregend“, maulte auch prompt der Evangelische Filmbeobachter, der sich inzwischen Filmdienst nennt. Tja, liebe Kollegenkritiker, da seid ihr mal wieder an den Grenzen eurer Schädelknochen jämmerlich zerschellt. Denn jetzt ist der Film nach einer Vorlage der inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratenen Autoren Jerome Bixby (1923-1998) und des österreich-ungarischen Otto Klement (1891-1983) Realität geworden, wie die New York Times in ihrer jüngsten Ausgabe berichtet. Gut, die Fiktion ist nicht eins zu eins in die Wirklichkeit umgesetzt worden, aber die Idee kam immerhin aus unserem Ressort!

Zu den mikrobisierten Wissenschaftlern gehörte damals die langbeinige Raquel Welch (für diejenigen, die unter der Gnade der späten Geburt leiden: Raquel Welch war die Scarlett Johansson eurer Eltern), die durch Venen, Adern und vorbei an Lungenbläschen ins Gehirn des Wissenschaftlers geschossen wurde. Nun wird heutzutage keineswegs eine toll aussehende Frau durch irgendwelche Eingeweide gejagt, wenn es hart auf hart kommt – eine Vorstellung, die ja auch nicht unbedingt sexy ist –, sondern ein winziger Roboter, 0,36 Zentimeter groß und wendig wie ein Wurm, der schwimmen, laufen, springen und Hindernisse überspringen kann und, zum Beispiel, das Blutgerinsel an Ort und Stelle atomisieren kann.

Nur nebenbei sei erwähnt, dass diese Erfindung – selbstverständlich – in Deutschland gemacht wurde, und zwar von – AfD weghören, das ist nix für euch! – von dem in der Türkei geborenen Metin Sitti, dem neuen Direktor des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme mit Sitz in Stuttgart, wo er die Abteilung Physische Intelligenz leitet. Lieber Herr Professor Sitti, schauen Sie sich doch bitte mal den Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ an oder lesen Sie die gleichnamige Kurgeschichte von F. Scott Fitzgerald. Da geht es um einen alten Mann, der wieder zum jugendlichen Hüpfer wird. Meinen Sie, Sie könnten da was machen?

Rainer Nolden

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