Verdrängt, verlernt

Normalerweise sind sie mir herzlich egal, die öffentlichen Bekenntnisse von Prominenten über ihre Befindlichkeiten. Denn hinter solchen Enthüllungen stecken entweder handfeste materielle Interessen, weil sich das neue Buch, der nächste Auftritt, die neue Rolle immer besser bewerben lassen, wenn man auch Persönliches von sich preisgibt.

Oder aber es handelt sich um die ganz pragmatische Entscheidung, den Boulevard zu füttern, bevor man selbst von ihm gefressen wird. Dass gerade Letzteres gelegentlich schiefgeht, ist eine eigene Geschichte. Jenseits der Absicht, die Lust des Publikums an Klatsch und Tratsch, die Gier nach der kleinen, billigen Sensation zu bedienen, gibt es aber auch diese anderen Botschaften, die eben nicht so munter wegplätschern. Die Nachricht von der Alzheimererkrankung der Manager- und Sportlegende Rudi Assauer ist so eine. Diese Woche trat er damit an die Öffentlichkeit. Sein Schicksal rückt eine Krankheit ins Blickfeld, die ansonsten gerne verdrängt wird: Das langsame Verdämmern des Menschen, das mit Persönlichkeitsveränderungen einhergeht und in totalem Kontrollverlust endet. Eine unheilbare Krankheit mit unausweichlichen Folgen, Betroffene, die sich schämen, sich isolieren, ein überfordertes Umfeld. Der Unternehmer und Lebemann Gunter Sachs nahm sich im vergangenen Jahr nach der niederschmetternden Diagnose Alzheimer das Leben, der Tübinger Rhetorikprofessor und Autor Walter Jens führt nach Aussagen seiner Frau Inge nur noch ein biologisches Dasein ohne die Möglichkeit zu intellektuellem Austausch. Es gibt mit dem ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan oder den Schauspielern Peter Falk und Harald Juhnke weitere Prominente, die diesen schleichenden Tod starben. Aber in einer alternden Gesellschaft wird Alzheimer nicht mehr die Krankheit der anderen sein. Bereits heute sind 1,3 Millionen Deutsche und eine noch größere Zahl von Angehörigen und Betreuern damit konfrontiert. Es ist gut, dass Assauers Enthüllung jetzt eine Diskussion in Gang gesetzt hat, die im besten Falle zu mehr Aufklärung beiträgt. Das öffentliche Entsetzen ist aber auch Beleg dafür, dass eine Gesellschaft, in der nur zählt, wer funktioniert, den natürlichen Umgang mit Schwäche und Hinfälligkeit verlernt hat. Auch diese Form des Vergessens ist krank.

Ihre Isabell Funk, Chefredakteurin

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