Wiedergelesen – Lieblingsbücher : Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein

Trier · Max Frisch ist ein unverbesserlicher Pessimist. In seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ tut der Erzähler so, als sei er blind. Er legt sich Blindenbrille, Stock und Armbinde zu und trainiert sich das typische Verhalten eines Menschen an, der nicht sehen kann.

 Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch wäre am 4. April dieses Jahres 100 geworden. Foto: Achim Scheidemann

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch wäre am 4. April dieses Jahres 100 geworden. Foto: Achim Scheidemann

Eine Geschichte, die keine ist
Das birgt Schwierigkeiten: Im Auto auf dem Beifahrersitz neben einer Frau sitzen, sehen, was sie nicht sieht, nämlich den Lastwagen von rechts … Und warum der ganze Stress? Um die Welt zu durchschauen. Um zu Erkenntnis und Wahrheit zu gelangen. Um den Mythos des blinden Sehers Wirklichkeit werden zu lassen.

Aber so läuft das nicht in Max Frischs Welt. Und daher erkennt Gantenbein nichts - außer vielleicht seine eigene Unfähigkeit zur Erkenntnis.

Es ist Max Frischs ungewöhnlichstes erzählerisches Spiel: Er erzählt eine Geschichte, die eigentlich gar keine ist. Der Erzähler ist nämlich nichts weiter als ein blinder Fleck, der verschiedene Identitäten annimmt, sich mögliche Daseinsformen ausdenkt und wieder verwirft - in ständigem Beharren auf der Fiktionalität dessen, was er erzählt.

Paradox ist dieses Spiel um Täuschung und Wahrheit, Blindheit und Erkenntnis: Max Frisch erzählt mit dem Wissen, dass die Wirklichkeit vom Menschen nur bruchstückhaft erfahren werden kann - und mit der Angst, dass nicht einmal Worte die Wahrheit beim Schopf packen können.

Eileen Blädel

Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein, Suhrkamp Verlag, Erstausgabe 1964, 304 Seiten, 9,95 Euro.

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