Meine Wirtschaftswoche: Der ganz normale Küchenwahnsinn

Als ich vor vier Jahren für meine Familie unsere erste eigene Küche gekauft habe, fühlte ich mich als Anhänger dieses neuen deutschen Lebensgefühls, das nicht nur das Essen zelebriert, sondern auch dessen Zubereitung. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Ausstattung der Küchen, die von unseren Vermietern zur Verfügung gestellt wurden, spartanisch bis zweckmäßig.

Dann kam der Quantensprung, den ich mit vielen Deutschen gemeinsam habe. Immerhin werden jährlich 1,2 Millionen Küchen in diesem Land verkauft. Das hat vor allem damit zu tun, dass für viele die Küche dem Auto den Rang als Statussymbol abgelaufen habe, vermeldet eine Studie des deutschen Zukunftsinstituts. Die deutschen Hersteller leben von diesem Trend sehr gut. Im vergangenen Jahr setzten sie mehr als zehn Milliarden Euro um.

Besonders am Anfang liebte ich unsere Küche, weil sie neben allerlei technischem Schnickschnack vor allem Platz bot. Endlich einmal Essen zuzubereiten, ohne sich räumlich einschränken zu müssen, ist ein super Gefühl. Dank Platzfressern wie Brotfrischhaltebox, Wasserkocher, Mikrowelle, Toaster, Kaffeemaschine, etc. hält dieses Gefühl aber nie lang. Auch das ist ein Trend, den wir nach Angaben des Zentralverbands der Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) mit vielen Deutschen teilen. Stellt man sich auf einen puristischen Standpunkt, könnte man auch sagen, wir müllen unsere Küchen zu.

Jetzt droht noch weiteres Ungemach, denn meine verbliebenen knappen Quadratmeter Arbeitsfläche stehen in harter Konkurrenz mit einer Küchenmaschine. Dabei geht es weniger um rationale Argumente wie der Sinnhaftigkeit dieser Anschaffung als um den Glauben an eine angebliche Notwendigkeit. Rein sachlich betrachtet, kann der Verbraucher auch mit Töpfen Gemüse dünsten oder Essen kochen. Mit Küchenmaschinen soll das aber viel schneller, besser und einfacher gehen, sagen zumindest die Produzenten dieser Geräte und eine steigende Zahl von Menschen glaubt dieser Botschaft. Laut ZVEI erzielten die Hersteller im vergangenen Jahr 15 Prozent mehr Umsatz.

Ähnlich wie bei Autos müssen Kunden bei den Luxusausführungen dieser Maschinen mittlerweile mehrmonatige Wartezeiten in Kauf nehmen. Trotzdem sind sie bei ihren Käufern beliebt. Auf dem sozialen Netzwerk Facebook erklären sich immerhin 87 000 Deutsche zu Fans der Küchenmaschine Thermomix, bei unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck machen das nur 19 000. Auch das könnte man als Lebensgefühl oder Küchenwahnsinn bezeichnen. t.zeller@volksfreund.de

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