Wo bleibt die Reflexion über liberale Inhalte?

FDP-Chef Philipp Rösler hat gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Die FDP-Basis hat den Kurs der Parteiführung zur Euro-Rettung bestätigt.

Das verschafft Rösler zwar erst einmal eine Verschnaufpause, aber die innere Zerrissenheit der FDP ist damit noch längst nicht überwunden. Denn noch erschütternder als das Chaos in dieser einst so stolzen Traditionspartei ist die Reaktion ihres Spitzenpersonals auf die jüngsten Entwicklungen. Das nämlich kommentierte diese Woche den Rücktritt Christian Lindners vom Amt des Generalsekretärs als reine Personalie. Und die Krise der FDP, die binnen zweier Jahre von 14 auf vier Prozent abgestürzt ist, sei doch eher herbeigeredet. Solche Formelhaftigkeit spricht entweder für eine völlig verzerrte Selbstwahrnehmung oder für eine Geringschätzung der Bürger, die offenbar keiner ehrlichen Antwort für wert befunden werden. Blicken wir einmal auf die letzten Monate zurück. Nach dem Sturz von Parteichef Guido Westerwelle im Mai war mit Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr ein Trio angetreten, dessen Qualifikation hauptsächlich in seiner Jugend bestand. Führungsstärke und eine kraftvolle inhaltliche Neuausrichtung nach dem verstolperten schwarz-gelben Koalitionsstart standen offenbar nicht auf der Agenda. Denn während Bundeskanzlerin Angela Merkel um den Euro-Rettungsschirm rang, schaute der neue Parteichef und Vizekanzler Rösler vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus untätig der Anti-Europa-Kampagne seiner Parteifreunde zu. Die Folgen dieses Wahlkampfs waren für die Berliner Freidemokraten zwar niederschmetternd. Dennoch formierte sich innerhalb der Gesamtpartei eine Gruppe von Euro-Skeptikern, die sehr zum Unmut der Führungsriege einen Mitgliederentscheid über den Rettungsschirm erzwang. Schon diese erste Bewährungsprobe zur Einigung der Partei hat Rösler nicht bestanden. Nach außen hin verkaufte die FDP diese Entwicklung als basisdemokratischen Prozess. In Wirklichkeit aber tobte im Innern ein gefährlicher Machtkampf um die Deutungshoheit über Europa, der die Mitglieder zutiefst verunsicherte. Und dann der Clou: Noch während der Abstimmung erklärte Rösler, der Chef einer Partei, die für direkte Demokratie wirbt, das Mitgliederbegehren kurzerhand für gescheitert. Welch absurde Diskrepanz zwischen politischem Anspruch und eigenem Handeln. Sicherlich, ein Sieg der Euro-Rebellen hätte ein Weiterregieren mit der Union unmöglich gemacht. Dieses Problem hat sich seit gestern vorerst erledigt. Aber wer mehr Basis- und Bürgerbeteiligung predigt, kann sich doch nicht selber darüber hinwegsetzen. Mit dem schnellen Personalwechsel von Lindner auf Patrick Döring und der gewonnenen Abstimmung steht wieder alles auf Null. Aber ist das bereits der binnen kurzer Zeit abermals beschworene Neuanfang? Wo bleibt die Reflexion über liberale Inhalte? In Internet-Foren wird in den letzten Tagen immer häufiger gefragt, warum die Presse einer Drei-Prozent-Partei eigentlich so viel Beachtung schenkt. Ganz einfach: Weil die FDP Regierungspartei ist, den Vizekanzler stellt und unter anderem zwei so bedeutende Ressorts wie das Außen- und das Wirtschaftsamt führt. Viel wichtiger aber ist, dass Deutschland den politischen Liberalismus braucht - und zwar nicht geschrumpft auf ein Steuersenkungsprogramm, sondern als das immerwährende Ringen um Bürgerrechte und freiheitliche Grundwerte. Von solchen Idealen, das ist allerdings wahr, ist in der heutigen FDP nicht mehr viel zu spüren. Völlig zu Recht spricht Fraktionschef Rainer Brüderle, der in den vergangenen Tagen schon ganz offen als neuer Parteichef gehandelt wurde, von einem Säusel-Liberalismus. Dabei wäre ein robustes liberales Gegengewicht in einer nach links gerückten Parteienlandschaft mit wachsendem staatlichen Regulierungsanspruch heute wichtiger denn je. Isabell Funk, Chefredakteurin

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