Zweigeteilt

Steht der Papst noch für die Kirche oder die Kirche für den Papst? In der öffentlichen Diskussion erleben wir gerade eine bemerkenswerte Zweiteilung: Das ,,Kreuziget sie" für die Institution und das weltweite Hosianna für Franziskus, ihren Chef. Der erfreut sich nahezu ungebremster Beliebtheit, weil er leidenschaftlich Ungerechtigkeiten, soziale Kälte und Falschheit anprangert - auch im eigenen Hause.

Diese Woche haben die Vereinten Nationen den Vatikan in ungewohnter Schärfe für den Umgang mit Missbrauchspriestern und deren Opfern gerügt. Der Heilige Stuhl habe den Ruf der Kirche und den Schutz der Täter immer wieder über die Interessen der betroffenen Kinder gestellt. Das Komitee sei zutiefst besorgt darüber, dass die Kirche das Ausmaß der Verbrechen nicht anerkenne und nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreife, um solche Fälle zu verhindern und Kinder zu schützen. Prompt und ebenso scharf wies der Vatikan den UN-Bericht als versuchten Eingriff in die Lehre der Kirche zurück. Geschah dies tatsächlich auf Weisung des Papstes? Franziskus hatte doch selbst bereits kurz nach seinem Amtsantritt vom Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation gefordert, Übergriffe konsequent zu ahnden und im Dezember einen Ausschuss für den Schutz von Kindern vor Missbrauch eingerichtet. Worin also besteht die Diskrepanz? Auch die bisherige Haltung der Kirche zur Homosexualität beispielsweise findet im UN- Bericht kritische Erwähnung. Franziskus war schneller. Die Ergebnisse einer weltweiten Befragung zur Sexualmoral der katholischen Kirche sind seit Anfang der Woche öffentlich und zwingen die römische Kurie zum Handeln. Es überrascht nicht, dass die wenigsten Gläubigen die Lehre für zeitgemäß halten oder gar danach leben. Auch Priester und Bischöfe, wie beispielsweise der Trierer Stephan Ackermann, fordern Reformen. Seltsam ist nicht der Inhalt des UN-Berichts, sondern der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Noch seltsamer ist die Reaktion des Heiligen Stuhls darauf. Gerade jetzt, wo sich die Kirche zu bewegen scheint und Erneuerungsprozesse einleitet, wird sie angeklagt - und reagiert wie gewohnt: mit Abwehr. Franziskus und Teile des Apparats sind noch lange nicht eins.

Isabell Funk, Chefredakteurin

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