Ostpolitik Merkels Ost-Hypothek

Magdeburg · Die Kanzlerin trifft erstmals nach ihrer Wiederwahl die ostdeutschen Regierungschefs. Ein Überblick über die größten Herausforderungen.

 Allerhand Gesprächsbedarf: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt heute mit den Chefs der ostdeutschen Bundesländer zusammen.

Allerhand Gesprächsbedarf: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt heute mit den Chefs der ostdeutschen Bundesländer zusammen.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bad Schmiedeberg dürfte auch für die Kanzlerin ein eher unbekannter Fleck in Deutschland sein. In dem 8400-Einwohner-Ort in Sachsen-Anhalt trifft Angela Merkel heute die fünf ostdeutschen Ministerpräsidenten. Und die fordern nach vielen Worten Taten. Denn im Koalitionsvertrag wird – auch wegen des Aufstiegs der AfD – der Osten quasi neu entdeckt. Aber beim Personal in der großen Koalition gibt es ein Gefälle, neben Merkel sitzt mit Franziska Giffey (Familie/SPD) nur eine weitere Ostdeutsche am Regierungstisch.

Warum fühlen sich gerade im Osten so viele Menschen abgehängt?

Studien zufolge wird die deutsche Einheit bisweilen nicht als solche gesehen – sondern als Übernahme des Ostens durch den Westen. Interessant ist etwa eine Studie zur Rolle der Treuhandgesellschaft, die für den Übergang in die Marktwirtschaft verantwortlich war und auf Privatisierungen im Rekordtempo setzte. Reihenweise wurden Betriebe geschlossen. Arbeitslosigkeit wurde zum Massenphänomen. Die Treuhand dient bis heute als Symbol für eine Art Vereinigungstrauma. Beamte aus dem Westen wurden zu Tausenden geschickt, um Kollegen das westdeutsche Modell, etwa im Justizwesen, zu erläutern. Gleichzeitig mussten die Menschen neue Jobs finden, mitunter jahrelang um die Anerkennung alter Abschlüsse – und ihrer Lebensleistung – kämpfen. Nicht wenige fühlten sich als Bürger zweiter Klasse.

Was könnte daran etwas ändern?

Die Debatte selbst, sagt der Politikwissenschaftler Hendrik Träger von der Uni Leipzig. „Was auffällt: Der Osten wird in Debatten, auch medial, immer wieder in einen Topf geworfen und als homogene Einheit aufgefasst.“ Sein Beispiel: Als im sächsischen Heidenau ein Bus mit Flüchtlingen von einer aufgebrachten Menge angegriffen wird, gibt es sofort eine Debatte über den fremdenfeindlichen Osten. „Zur gleichen Zeit gab es einen ähnlichen Vorfall in Villingen-Schwenningen, über den auch berichtet wurde, aber ohne zu sagen: Das ist ein süddeutsches oder gar westdeutsches Problem.“

Was will die Politik für den Osten tun?

Viele Spitzenpolitiker haben gerade vor allem eine Idee für sich entdeckt: die Ansiedlung von Behörden und Forschungszentren. Ferner: Keiner der 30 Dax-Konzerne hat seine Zentrale im Osten, großzügige Förderofferten machten viele Landstriche zu verlängerten Werkbänken – mit oft eher mäßig bezahlten Jobs. Dass die Riesen umziehen, glaubt inzwischen niemand mehr. Vielmehr hoffen die ostdeutschen Wirtschaftsminister, dass kluge Förderpolitik, etwa in neuen Branchen wie der IT, neue Schwergewichte heranwachsen lässt, die ihre Wurzeln von Beginn an in ihren Bundesländern haben.

Wie viele Menschen hat der Osten seit der Wende „verloren“?

Von 1991 bis heute verringerte sich die ostdeutsche Bevölkerung durch die Ost-West-Wanderung im Saldo um mehr als eine Million Menschen – den größten Anteil mit 36,7 Prozent hat dabei die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen. So wird die Bevölkerung im Osten immer älter – und vielerorts gibt es einen Männerüberschuss.

Die Arbeitslosigkeit ist im Durchschnitt höher als im Westen. Allerdings entwickeln sich die ostdeutschen Regionen schon länger nicht mehr im Gleichschritt.

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