Handel Neustart auf 800 Quadratmetern

Mainz/Trier · Bund und Länder haben eine schrittweise Öffnung der Geschäfte vom kommenden Montag an beschlossen. Das „Wann“ ist damit klar, doch das „Wie“ wirft noch viele Fragen auf.

 Karin Kaltenkirchen (rechts) verkleinert zusammen mit Dekorateurin Ursula Schäfer mit Stellwänden den Verkaufsraum des Modehauses Marx in Trier auf 800 Quadratmeter.

Karin Kaltenkirchen (rechts) verkleinert zusammen mit Dekorateurin Ursula Schäfer mit Stellwänden den Verkaufsraum des Modehauses Marx in Trier auf 800 Quadratmeter.

Foto: TV/Heribert Waschbüsch

Der Handel in der Region Trier bereitet sich auf einen ersten Schritt in Richtung Normalität vor. Doch dabei treibt die Unternehmen noch eine Vielzahl von Fragen um. Am Mittwoch haben Bund und Länder beschlossen, dass zahlreiche Läden, die wegen der Verbreitung des Coronavirus geschlossen werden mussten, ab Montag unter Auflagen wieder öffnen dürfen. Eine Voraussetzung ist, dass die Verkaufsfläche 800 Quadratmeter nicht übersteigt. Und genau mit diesem Punkt ist die Wirtschaft unzufrieden.

Der Präsident des rheinland-pfälzischen Handelsverbands, Georg Kern: „Das ist nicht nachvollziehbar, ungerecht und eine enorme Wettbewerbsverzerrung.“ Eine Differenzierung mit einer Quadratmeter-Beschränkung sei nicht sachgerecht und wissenschaftlich nicht fundiert, hat der Verband an die Ministerpräsidentin geschrieben. „Der Handelsverband ist bereits heute in der Lage, einheitliche Hygienestandards und klare Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Pandemie einzuhalten“, erklärt der Trierer Geschäftsmann Kern. Er wird sein Geschäft, das Musikhaus Reisser, am Montag öffnen. Man werde dabei die notwendigen Hygienestandards vorbereiten. „Wir haben 650 Quadratmeter Verkaufsfläche. Doch ich würde auch mit 1000 Quadratmetern öffnen, dann aber die Verkaufsfläche einschränken. Das rate ich auch anderen Unternehmen“, so Kern.

Gestern Abend nun die für viele Unternehmer wichtige Meldung seitens der Landesregierung: „In Rheinland-Pfalz können ab Montag alle Geschäfte öffnen, wenn Waren nur auf bis zu 800 Quadratmetern Verkaufsfläche angeboten werden. Größere Geschäfte erhalten so die Chance, einen Teil ihrer Verkaufsfläche abzutrennen.“ Die Sprecherin der Landesregierung, Andrea Bähner, erläuterte die Abweichung vom gestrigen Beschluss der MPK mit der Bundeskanzlerin: „Für uns ist dies ein Gebot der Gleichbehandlung und der rechtlichen Klarheit.“

Zudem hat das Sozialministerium hat für den heutigen Freitag eine weitere Rechtsverordnung zu den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus vorbereitet. Die neue Fassung der Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (CoBeLVO) soll die Beschlüsse umsetzen, die am Mittwoch von Bund und Ländern vereinbart wurden, wie eine Sprecherin des Ministeriums am Donnerstag mitteilte.

Knackpunkt für die Wirtschaft ist dennoch die Quadratmeter-Begrenzung, wie auch die Industrie- und Handelskammer betont. IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Glockauer sagte dem TV: „Natürlich muss sich das Hochfahren unserer Wirtschaft am Primat des Gesundheitsschutzes orientieren. Durch die nun beschlossenen Regelungen gibt es zumindest für viele Einzelhändler, auch dank des Einsatzes der Landesregierung, Licht am Ende des Tunnels.“

Eine Begrenzung der Kundenzahl pro Quadratmeter wäre aus seiner Sicht gerechter gewesen und hätte eine einheitliche Grundlage für alle Unternehmen dargestellt, findet der IHK-Hauptgeschäftsführer. Unternehmen und Verbraucher hätten in den vergangenen Wochen viel hinzugelernt. Gaststätten, Einzelhandelsbetriebe und andere von den behördlichen Schließungen betroffene Unternehmen wären aus Kammersicht unabhängig von ihrer Größe bereit, flankierende Maßnahmen wie Mindestabstände und andere Schutzmaßnahmen umzusetzen.

Glockauer: „Für viele Unternehmen fehlt nun aber weiter eine klare Perspektive. Die gesamte Branche der Hotellerie und Gaststätten wird komplett im Unklaren gelassen und auf die nächste Besprechung in zwei Wochen vertröstet. Warum hier nicht genauso wie mit den Friseuren verfahren wird, erschließt sich uns nicht. Wir hoffen nun sehr, dass bei der zu ändernden Rechtsverordnung des Landes das Kriterium ,Einhaltung der Hygieneregeln’ gestärkt wird und so pragmatisch Handlungsspielraum für möglichst viele unserer Betriebe geschaffen wird.“

Gereon Haumann, Landeschef des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, fordert: „Wir brauchen spätestens ein Worst-Case-Datum, an dem die Betriebe allerspätestens wieder öffnen können, damit sie bei Kreditanträgen auch ihren Liquiditätsplan darauf ausrichten können.“ Haumann spricht von einem großen Opfer, das dem Gastgewerbe abverlangt werde. „Es wurde von Bund und Ländern keinerlei Perspektive für eine Wiedereröffnung aufgezeigt.“ Von Soforthilfen des Bundes, das habe eine Blitzumfrage unter Dehoga-Betrieben gezeigt, seien in Rheinland-Pfalz bei 95 Prozent der gestellten Anträge noch kein Geld angekommen. „Bis Ende April sollen alle Anträge bearbeitet und ausgezahlt sein, hat uns die ISB mitgeteilt, was ein gutes Signal ist“, sagt Haumann.

Er rechnet aber mit einer zweiten Welle an Hilferufen, weil Betriebe nun länger geschlossen seien. Haumann fordert: „Im besten Fall bekommen wir Zuschüsse für coronabedingte Ausfälle im Gastgewerbe. Wenn die Politik das nicht erfüllen kann, brauchen Betriebe Sonderkonditionen bei der Rückzahlung der Kredite oder Steuernachlässe, damit nicht eine noch größere Hypothek auf ihnen lastet.“

Rückendeckung bekommen die Betriebe aus der FDP-Fraktion im Mainzer Landtag. Der Vulkaneifeler Abgeordnete Marco Weber sagt: „Rheinland-Pfalz ist Gastro-Land. Der Bund hätte ab dem 4. Mai Lockerungen ermöglichen müssen, bei denen halt weniger Gäste in die Läden gehen und größeren Abstand zueinander halten müssen –wie bei Schulen und Friseuren.“ Der Umgang, Restaurants und Hotels weiter zu schließen, sei aber „ein Debakel“, kritisiert Weber. Seine Fraktionschefin Cornelia Willius-Senzer fordert: „Gerade in familiengeführten Betrieben ist die Kapitaldecke nicht hoch. Es braucht die klare Perspektive für Betriebe, ab Mai wieder zu öffnen.“

Weiter sind da Geschäfte im Einzelhandel. Im Trierer Modehaus Marx laufen, wie in vielen anderen größeren Geschäften in der Region, bereits die Vorbereitungen: Ziel ist, am Montag zu öffnen.

„Wir haben zwar deutlich mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche, werden aber den Verkaufsraum auf die geförderte Größe reduzieren“, sagt Unternehmerin Karin Kaltenkirchen dem TV. Schon im Februar gab es weitreichende Sicherungsmaßnahmen, die nun auch greifen. „Wir haben unsere Mitarbeiter geschult, das werden wir nun auffrischen. Im Eingangsbereich steht eine automatische Desinfektionsstation, Abstandsmarkierungen auf dem Boden und Mundschutz für alle Mitarbeiter sind selbstverständlich“, so Kaltenkirchen.

Wichtig sei nun zu wissen, wie viele Personen pro Quadratmeter in das Geschäft dürfen.

Vor Wochen hat Karin Kaltenkirchen zudem Einmal-Mundschutz bestellt und wartet nun auf die Lieferung. „Die könnten wir dann Kunden aushändigen, wenn sie das wollen“, erklärt sie.

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