Europa Anführer der Europafreunde

Strassburg · Für seinen mitreißenden Auftritt im Europaparlament bekommt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron viel Beifall. Doch der Reformer zeigt erstmals auch Nerven.

 Emmanuel Macron hat im Europaparlament in Straßburg eine flammende Rede für Europa gehalten.

Emmanuel Macron hat im Europaparlament in Straßburg eine flammende Rede für Europa gehalten.

Foto: dpa/Jean Francois Badias

Das Europaparlament ist nicht bekannt dafür, Schauplatz mitreißender Debatten zu sein. Meist lesen die Redner ihren Beitrag vom Blatt ab. Auch die Vielfalt der Sprachen macht es nicht leichter. Die Politiker wissen, dass ihre Sätze simultan übersetzt werden müssen und dass dabei jeder Wortwitz verloren geht. Daher sind die Zuschauerränge in der Straßburger Volksvertretung meist spärlich besetzt. An diesem Dienstag ist das anders. Schon eine halbe Stunde vor dem angekündigten Rede-Auftritt des französischen Präsidenten ist auf der Pressetribüne kein Platz mehr frei. Auch die Reihen der Parlamentarier sind geschlossen. Alle wollen Emmanuel Macron erleben, seinen Pathos, das Charisma des Pro-Europäers.

Macron lässt die Zuhörer warten. 25 Minuten zu spät legt er los. Seine ehrgeizigen Ideen für einen Neustart der EU hat er, der mit seinem proeuropäischen Wahlkampf die Rechtsradikale Marine Le Pen besiegt hat, bereits zwei Tage nach der deutschen Bundestagswahl bei seiner Rede an der Sorbonne vorgelegt. Da war er schon einige Monate im Amt. Acht Monate ist dies nun her. Acht Monate, in denen sich in Frankreich und in Europa erste Ernüchterung in die Begeisterung für diesen Präsidenten gemischt hat.

Bei seinem Auftritt vor dem Europaparlament verzichtet Macron darauf, ein weiteres Feuerwerk der Reformideen zu entzünden. Seine Vorschläge zur Vertiefung liegen auf dem Tisch und haben, gerade in Berlin, keine große Begeisterung entfacht. Eine regelrechte Abfuhr erfährt er in diesen Tagen in den Reihen der Unionsfraktion im Bundestag. Da er zudem am Donnerstag nach Berlin fährt, um mit Angela Merkel die Vorschläge zur Reform der Eurozone zu diskutieren, hält er es für sinnvoller, sich öffentlich nicht noch einmal an Reformdetails abzuarbeiten. Macron geht es vielmehr darum, Tempo zu machen und die Notwendigkeit von Reformen in der Gemeinschaft zu unterstreichen.

Macron hat zwei Botschaften für die Pro-Europäer im Gepäck: Die erste ist – das passt zum Ort der Rede im Haus des europäischen Souveräns – ein flammendes Bekenntnis zur Demokratie. Im Hinblick auf die im nächsten Mai anstehenden Europawahlen erteilt er populistischen Politikansätzen eine eindeutige Absage. Ohne Ungarn und den rechtspopulistischen Regierungschef Viktor Orban namentlich zu nennen, der gerade mit seinem Kurs gegen Zuwanderung einen großen Wahlsieg eingefahren hat, griff er ihn doch unmissverständlich an. Das Illeberale, so Macron, wachse jeden Tag. Und jeder wusste, wer gemeint war, als er sagte: „Die Antwort auf unsere Probleme ist nicht eine autoritäre Demokratie, sondern die Autorität durch Demokratie.“ Der französische Präsident fordert die Renaissance eines Europas, das vom Geist seiner Völker getragen wird. „Die Rückkehr des nationalen Egoismus muss überwunden werden.“

Mit dieser ansteckenden Begeisterung für Europa hat sich Macron zum Regierungschef in Europa entwickelt, mit dem sich Pro-Europäer am ehesten identifizieren können. Damit personifiziert Macron den politischen Gegenentwurf zu Ungarns Premierminister Orban, der die eigenen nationalen Interessen zuerst bedient und nicht davor zurück schreckt, hart gegen Migranten und innenpolitische Gegner auszuteilen.

Seine zweite Botschaft richtet Macron denn auch an die Nationalstaaten. Damit es mit Europa weiter geht, müssten die Hauptstädte „Souveränität“, also Macht, an das supranationale Projekt EU abgeben. „Ich möchte einer Generation angehören, die die europäische Souveränität verteidigen wird. Sie ist die Bedingung, damit kommende Generationen selbst über ihre Zukunft entscheiden können.“ An dieser Stelle seiner etwa 25-minütigen Rede

wird er auch konkret. Brüssel verdiene mehr Kompetenzen, um die Zuwanderungsfragen zu lösen, robust die Außengrenzen zu verteidigen, Digitalunternehmen zu besteuern und eigene Einnahmen für die EU zu generieren.

Für die Abgeordneten wird das Gastspiel Macrons als eine Sternstunde in die Geschichte dieser Wahlperiode eingehen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker feiert Macrons Rede mit den Worten: „Das wahre Frankreich ist zurück.“

Doch in der anschließenden Debatte wird Macron auch kritisiert. Gar nicht gut kommt etwa im Parlament an, dass Macron dem Haus das Recht streitig machen will, den nächsten Kommissionspräsidenten zu bestimmen. Während Macron, der im Parlament absehbar keine starke Fraktion stellen wird, den Nachfolger von Juncker so wie früher wieder zwischen den Staats- und Regierungschefs auskungeln will, pocht das Parlament darauf, dass nur Chef der nächsten Kommission werden kann, wer zuvor als Spitzenkandidat einer europäischen Parteienfamilie in den Europawahlkampf gezogen ist. Manfred Weber (CSU) mahnt bei Macron mehr Respekt für das Europaparlament an.

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