Politik Die Tage des Präsidenten

Berlin · Frank-Walter Steinmeier steht vor der ersten großen Herausforderung – 2005 betrieb er selbst Neuwahlen.

 Als Staatsoberhaupt gefragt: Frank-Walter Steinmeier.

Als Staatsoberhaupt gefragt: Frank-Walter Steinmeier.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Man fragte sich bereits, wie Frank-Walter Steinmeier das aushält. Jahrelang Volldampfdiplomat und Krisenmanager. Ukraine, Iran, Nahost. Und dann bloß noch Dorftermine in Deutschland, mit Kinderchören und aufgeregten Bürgermeistern. Man fragte sich, ob er sich im Schloss Bellevue nicht fühlt wie in einem goldenen Käfig. Viel Ehre, wenig Macht. Seine bisherigen Reden verpufften, bis auf die am 3. Oktober, als er von den neuen Mauern in Deutschland sprach. Seine Reisen an die „Orte der Demokratie“ wurden allenfalls lokal beachtet. Das werde eine Präsidentschaft ohne Glanz, hieß es schon. Jetzt ist das schlagartig anders. Das seit einem Dreivierteljahr amtierende neue Staatsoberhaupt hat sein Thema gefunden: Er muss mal kurz das Land retten. Das sind jetzt die Tage des Präsidenten. Zwei Dinge fallen auf. Erstens, wie entschlossen Steinmeier am Montag nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen auf die Krise reagiert hat. Mit einem unmissverständlichen Aufruf an alle Parteien, ihrer Verantwortung für das Land gerecht zu werden. Zweitens, wie sorgfältig er sein Vorgehen seither inszeniert. Erst die Einzelgespräche mit den Parteivorsitzenden. Er versucht, alle darauf zu verpflichten, weiter konstruktiv an einer Lösung zu suchen. Ein Bundespräsident kann keine Koalitionsverträge vermitteln. Er kann nur erreichen, dass mehr Zeit gewonnen wird. Zeit, in der sich die Dinge vielleicht bewegen, wie das bei der SPD bereits der Fall ist. In der neue Ideen abgewägt werden, wie jetzt die einer Minderheitsregierung. So ist er auch als Außenminister mit Konfliktparteien umgegangen. Penetranz sei für den Job eine wichtige Tugend, hat er einmal gesagt. Von jedem der Treffen im Empfangszimmer gibt es ein offizielles Foto, das veröffentlicht wird. Auch das setzt die Gäste unter Zugzwang, weil es Erwartungen weckt. Jedes Mal die gleiche, konzentrierte Gesprächssituation. Kommende Woche folgt die nächste Stufe. Ein Treffen mit Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer. Außerdem lädt er die Vorsitzenden aller Fraktionen im Bundestag, inklusive Linke und AfD zu Gesprächen ein. Niemand soll ausgegrenzt werden. Und dann berät sich Steinmeier  noch mit den Präsidenten von Bundesrat, Bundestag, Verfassungsgericht. Vor zwölf Jahren war es umgekehrt. Zwar war er eigentlich gegen die Idee von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gewesen, sich vorzeitig ein neues Votum der Bürger zu holen, weil die Zustimmung wegen der Agenda-Reformen dramatisch bröckelte. Diese Neuwahlen waren weit weniger nötig als heute, denn es gab eine funktionierende rot-grüne Koalition. Aber Schröder wollte sie und Steinmeier als Kanzleramtschef half ihm, sie umzusetzen. Steinmeier war als einziger dabei, als Schröder den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler am 23. Mai 2005 am gleichen Tisch im Schloss Bellevue über den windigen Plan einer absichtlich verlorenen Vertrauensabstimmung unterrichtete. Köhler hätte das Ansinnen von sich weisen können, nach Steinmeiers heutigen Maßstäben sogar müssen, aber dann hätte es eine Staatskrise gegeben. Präsident gegen Kanzler. Also spielte Köhler mit – und verlor enorm an Reputation.

Steinmeier dürfte aus dieser Zeit behalten haben, wie heikel die Rolle des Präsidenten in dieser Situation ist. Und wie man vorgehen muss. Auch Köhler sprach damals der Reihe nach mit allen Beteiligten. Wobei die Vertraulichkeit der Gespräche nicht immer gewahrt wurde, was zusätzliche Turbulenzen verursachte. Das ist heute anders. Nichts dringt nach außen.

Für Steinmeier bietet die Lage nebenbei auch die Chance, sich als überparteilich zu erweisen. Offiziell ruht seine 42jährige Mitgliedschaft in der SPD seit seinem Amtsantritt ohnehin, aber weil er mal deren Kanzlerkandidat war, schlug ihm diesbezüglich vor allem aus der Union immer noch Misstrauen entgegen. Jetzt werden sie ihn dort lieben. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, hat er am Montag gesagt. Steinmeier dürfte nicht unrecht gewesen sein, dass dieser Aufruf auch als Kritik an SPD-Chef Martin Schulz empfunden wurde.

Am stärksten dürfte aber ein inhaltliches Motiv sein. Schon in seiner Antrittsrede am 19. März sagte er: „Die Welt scheint aus den Fugen.“ Er hat das ja mehr als jeder andere gesehen bei seinen vielen Reisen, hat im Februar 2013 am Maidan in Kiew den Pulverrauch sogar regelrecht riechen können. Zutiefst verhasst ist es ihm seither, wenn Politiker in Staaten, denen es eigentlich gut geht, mit der Stabilität herumspielen. In seinen acht Jahren als Außenminister war Steinmeier nur zweimal wirklich undiplomatisch. Einmal gegen den Brexit-Befürworter Boris Johnson, dem er „verantwortungslose Politik“ vorwarf. Und dann gegen Donald Trump, den er einen „Hassprediger“ nannte. Und jetzt spielen welche ohne Not mit der Regierbarkeit Deutschlands? Dass Steinmeier darüber ernsthaft erbost ist, das kann man ihm glauben.

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