Regierungsbildung Der italienische Patient

Brüssel/Rom · Warum das EU-Gründungsmitglied eine Bedrohung für die Euro-Zone darstellt.

 Guiseppe Conte (links), designierter Ministerpräsident von Italien, winkt bei seiner Ankunft beim Unterhaus des Parlaments zur Besprechung der Liste von Kabinettsmitgliedern. Auf der Suche nach einer Regierungsmannschaft aus Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega in Italien hat Conte Beratungen mit den Parteien begonnen. Wenn er eine Ministerriege zusammen hat, muss er diese Staatspräsident Sergio Mattarella vorlegen.

Guiseppe Conte (links), designierter Ministerpräsident von Italien, winkt bei seiner Ankunft beim Unterhaus des Parlaments zur Besprechung der Liste von Kabinettsmitgliedern. Auf der Suche nach einer Regierungsmannschaft aus Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega in Italien hat Conte Beratungen mit den Parteien begonnen. Wenn er eine Ministerriege zusammen hat, muss er diese Staatspräsident Sergio Mattarella vorlegen.

Foto: dpa/Angelo Carconi

Offiziell halten sich alle zurück. Doch hinter vorgehaltener Hand geht in Brüssel die Sorge um. Viele befürchten, dass Europa erneut in eine Euro-Krise stürzt. Erinnerungen werden wach an die Zeiten, als die maroden Staatsfinanzen Griechenlands der Auslöser waren.

Diesmal würde es aber nicht Griechenland sein, sondern Italien. Bei der Griechenland-Krise schaute die Euro-Zone bereits in den Abgrund. Klar ist: Sollte eine Italien-Krise eskalieren, wird es schlimmer. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in Europa. Der Euro-Rettungsschirm ESM hat nicht genug Finanzmittel, um Italien zu stützen. Italien ist zu groß, um gerettet zu werden. Während Griechenland für zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in der Eurozone steht, steuert Italien 16 Prozent bei. Während auf Griechenland drei Prozent der Staatsschulden in der Euro-Zone entfallen, liegt dieser Wert bei Italien bei 25 Prozent. Das Risikopotenzial, das von Italien ausgeht, ist um ein Vielfaches höher als seinerzeit bei Griechenland. In einer dürren Mitteilung räumt die Kommission dies auch ein. Mittwoch hieß es: „Vor dem Hintergrund seiner systemischen Bedeutung ist Italien eine Quelle von potenziellen, signifikanten Auswirkungen auf den Rest der Euro-Zone.“

Das EU-Gründungsmitglied Italien hat wirtschaftlich viele Probleme. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 31 Prozent, das Pro-Kopf-Einkommen ist heute niedriger als vor 20 Jahren, die Wirtschaftsleistung des Landes ist heute um fünf Prozent geringer als vor Ausbruch der Griechenlandkrise 2009. Die akuten Gefahren für den Euro-Raum kommen aus dem italienischen Finanzsektor: Staatsverschuldung und faule Kredite in den Bankbilanzen.

Obwohl die italienischen Bürger teils über sehr hohe Privatvermögen verfügen, schlummern in den Bankbilanzen notleidende Kredite in Höhe von knapp 200 Milliarden Euro. Rund zwölf Prozent aller von den Banken ausgereichten Darlehen werden nicht mehr regelmäßig bedient. Durch die faulen Kredite können Geldhäuser in die Knie gezwungen werden. Wenn es sich um große Banken handelt, kann daraus leicht eine Kettenreaktion entstehen, durch die die gesamte Bankenarchitektur in Europa ins Wanken gerät.

Gefährlicher als die faulen Kredite der Geldinstitute ist noch die hohe Staatsverschuldung. Sie rückt deswegen in diesen Tagen in den Blick, weil sich in Rom eine Regierung bildet, die sündhaft teure Wahlversprechen umsetzen will. So soll das Renteneintrittsalter nicht steigen, eine Flattax soll ebenso kommen wie das bedingungslose Grundeinkommen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Umsetzung dieser Versprechen das Haushaltsdefizit von derzeit 2,3 auf über sieben Prozent in die Höhe treiben würde. Italien hat mit 2140 Milliarden Euro absolut gesehen bereits am meisten Staatsschulden in ganz Europa. Mit Staatsschulden, die insgesamt 130 Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen, ist Italien auch relativ gesehen nach Griechenland der Schuldenmeister Europas. Nach den Kriterien des Maastricht-Vertrages, auf die sich die Euro-Staaten geeinigt hatten, ist ein Wert von unter 60 Prozent akzeptabel. Deutschland hat einen Wert von 68 Prozent.

Es kommen weitere Verbindlichkeiten hinzu: So steht die italienische Notenbank beim sogenannten Target-System des Zahlungssystems der Europäischen Zentralbank (EZB) mit 440 Milliarden in der Kreide. Derzeit kümmert sich kaum jemand um diese Summen. Sollte Italien aber aus dem Euro aussteigen, müsste diese Rechnung beglichen werden.

Es gibt zwei Szenarien, wie Italien eine Euro-Krise auslösen könnte. Zum einen könnten die Zinsen steigen. Wenn die EZB die Zinsen nicht mehr künstlich niedrighält, dann muss Italien  für den Schuldendienst womöglich so viel ausgeben, dass der Staat nicht mehr handlungsfähig ist. Das zweite sehr viel wahrscheinlichere Szenario ist, dass Italien an den Finanzmärkten nicht mehr seinen Kapitalbedarf stillen kann. Wie in der Griechenland-Krise verlangen bereits jetzt Anleger höhere Risikoprämien, wenn sie Italien Kredit gewähren, als wenn sie Deutschland Geld leihen. Der Unterschied liegt bereits jetzt bei knapp zwei Prozent. Die sogenannte Angstprämie, die die Investoren verlangen, könnte steigen, wenn die Regierenden sich weiterhin so dilettantisch anstellen. Die Koalitionäre in Italien tragen dazu bei, das Vertrauen der Märkte weiter auszuhöhlen. So forderten sie, die EZB sollte italienische Staatsanleihen, die sie zuvor erworben hat, in Höhe von 250 Milliarden Euro streichen. Dass die EZB nicht Schulden erlassen darf, interessierte die Politiker gar nicht.

Die absurde Idee, die die Koalitionäre inzwischen wieder begraben haben, zeigt: Die hohe Staatsschuld drückt die Regierenden, sie schränkt ihre Handlungsfähigkeit ein. Sie ist aber nicht bereit, Reformen durchzuziehen und den Gürtel enger zu schnallen, sondern sie schielt nach Brüssel. Da die EU wohl einen Austritt Italiens aus der Euro-Zone weder politisch noch wirtschaftlich überstehen würde, glauben viele Beobachter, dass auf die gesamte EU schwere Zeiten zukommen könnten: Die EU sei damit erpressbar, Italien könnte etwa verlangen, dass die anderen EU-Länder einen Teil der Staatsschulden übernehmen. Für den deutschen Steuerzahler wäre dies ein Alptraum: Die EU würde zur Transferunion.

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