Europa Der nächste Bildschirm-Gipfel der Europäischen Union

Brüssel · Europa ringt in der Corona-Krise um ein Wiederaufbau-Programm. Euro-Bonds spielen dabei keine Rolle mehr.

 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) nimmt an der Videokonferenz mit den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Ländern teil.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) nimmt an der Videokonferenz mit den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Ländern teil.

Foto: AP/Ian Langsdon

Als die Videokameras in den 27 Regierungszentralen der EU am Donnerstagnachmittag eingeschaltet wurden, stand eines schon fest: Eine derart hitzige Debatte mit teilweise heftigen Schuldvorwürfen an einzelne Amtskollegen wie beim vorigen Mal durfte es nicht noch einmal geben. EU-Ratspräsident Charles Michel hatte deshalb schon vor dem virtuellen Gipfeltreffen festgelegt, dass man die Ergebnisse der Beratungen nicht in ein Ergebnis-Papier packen wolle. Stattdessen solle man doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Auftrag geben, aus den Ideen, Einwänden und Diskussionsbeiträgen so etwas wie einen Vorschlag zu machen. Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, dass es am Ende genauso kam.

Das Coronavirus hat in allen Mitgliedstaaten die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben praktisch zum Stillstand gebracht. Gesucht wird ein Ausweg, am besten einer, der nicht nur hilft, sondern auch den Bürgern und den Finanzmärkten imponiert. Nachdem in den Tagen vorher zuerst Frankreich und Spanien und am Dienstagabend auch Italien von den Forderungen nach Corona- oder Euro-Bonds abgerückt waren, entspannte sich die Lage zusehends. Giuseppe Conte, Chef der Regierung in Rom, hatte lediglich gefordert, dass jeder neue Plan „die Charakteristika beinhalten muss, die wir fordern“. Konkret: Italien will (inklusive Eigenanteil) 78 Milliarden Euro als Anschub für seine Wirtschaft haben. Die anderen EU-Partner legten am Donnerstag noch keine Zahlen vor

Die favorisierte Lösung kommt aus dem Hause von der Leyen und stellt eine Kombination aus diversen Komponenten dar. Zum einen sollen die Mitgliedstaaten einen deutlich höheren als bisher geplanten Beitrag für die gemeinsame Kasse zusagen, aber nicht die ganze Summe bezahlen. Der Rest würde von der Kommission als Bürgschaft hinterlegt. Die Verwaltung würde damit am Finanzmarkt etliche hundert Milliarden Euro wegen der Rücklage zu günstigen Zinsen aufnehmen und an die Mitgliedstaaten verteilen. Damit müsste kein Staat für die Schulden des anderen einstehen, was die EU-Verträge ohnehin nicht zulassen. Die Gemeinschaft wäre auch künftig, ganz nach dem Geschmack der Kanzlerin Angela Merkel (CDU), ein Club mit beschränkter Haftung.

Doch es bleiben zahlreiche Probleme – wie die Frage, nach welchem Schlüssel die Gelder aufgeteilt werden und ob sie nur als Darlehen oder als Geschenk gelten sollen. Die besonders von der Krise betroffenen Mitglieder Spanien, Italien und Griechenland lehnen rückzahlbare Kredite ab. Die Nordlichter wollen indes keine Präsente verteilen. Andererseits wissen sie aber auch: Sollten Rom, Athen und Madrid irgendwann mit ihrer Staatsverschuldung bei fast 200 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung liegen, könnten sie die Darlehen ohnehin nicht mehr bedienen. Also kann man ihnen gleich Zuschüsse geben.

Nach dem Video-Gipfel wird man in Brüssel zu rechnen beginnen. Wie viel Geld wird überhaupt gebraucht? 500 Milliarden, eine Billion oder sogar 1,5 Billionen? Zusätzlich zum zuvor bereits vereinbarten und beim Gipfel nun gebilligten 540-Milliarden-Euro-Hilfspaket? Und auch ergänzend zum 750-Milliarden-Sonderprogramm der Europäischen Zentralbank zum Aufkauf von Staatsanleihen? Das könne man nicht sagen, betonten Brüsseler Diplomaten. Ratspräsident Michel warnte davor, sich zu früh festzulegen, weil niemand wisse, wie die Krise im Weiteren verlaufe.

Die Hilfen des 540-Milliarden-Euro-Pakets sollen derweil zum 1. Juni bereitstehen. Auf das Paket hatten sich die EU-Finanzminister vor zwei Wochen geeinigt. Es enthält drei Punkte – jeweils ein „Sicherheitsnetz“ für Jobs, für kleine und mittlere Unternehmen und für angeschlagene Staaten wie Italien oder Spanien, die ohnehin verschuldet sind und nun auch noch von der Corona-Pandemie schwer getroffen werden.

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