Forderung nach Senkung des straffähigen Mindestalters „Intensivtäter werden weiter schwere Straftaten begehen, weil sie nicht belangt werden können“

Düsseldorf · Die beiden Täterinnen im Fall Luise aus Freudenberg sind laut Gesetz aufgrund ihres Alters schuldunfähig. Die Deutsche Polizeigewerkschaft hält das Gesetz für veraltet. Es wird gefordert, die Altersgrenze von 14 Jahren abzuschaffen.

Unbekannte haben am Fundort des ermordeten zwölfjährigen Mädchens Luise Blumen in den frisch gefallenen Schnee gelegt.

Unbekannte haben am Fundort des ermordeten zwölfjährigen Mädchens Luise Blumen in den frisch gefallenen Schnee gelegt.

Foto: dpa/Roberto Pfeil

Nach der Tötung einer Zwölfjährigen durch zwei gleichaltrige Mädchen werden Forderungen nach einer Senkung des straffähigen Mindestalters von 14 Jahren für extrem schwere Gewalttaten laut. „Die Gesetze sind sehr alt. Die Gesellschaft hat sich verändert – auch die Kinder. Heutzutage sind viele Zwölfjährige wie 16-Jährige. Man muss das Gesetz entsprechend anpassen“, fordert Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW. Die Altersgrenze von 14 Jahren gehöre daher abgeschafft und müsse stattdessen vom Einzelfall abhängig variabel ausgelegt sein. „Für schwerste Straftaten wie Mord, Totschlag und Sexualstraftaten muss bei Tätern unter 14 Jahren ein Gutachten erstellt und die Frage geklärt werden, ob dieses Kind schuldfähig ist. Der starre Rahmen der Altersbegrenzungen darf keine Rolle spielen“, so Rettinghaus.

Nach dem Gewaltverbrechen an der zwölfjährigen Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft zu den Hintergründen des Falls. Zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren haben gestanden, die Zwölfjährige erstochen zu haben. Die mutmaßlichen Täterinnen und das Opfer sollen sich gekannt haben.

Kinder, die noch keine 14 Jahre alt sind, wenn sie ein Verbrechen begehen, gelten nach dem Gesetz als schuldunfähig. Denn es wird davon ausgegangen, dass sie die Folgen ihres Handelns noch nicht ausreichend überblicken. Sie können nicht vor Gericht gestellt und nicht verurteilt werden.

Der Düsseldorfer Strafrechtler Ingo Bott von der Kanzlei „Plan A“ erklärt: „Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in anderen Rechtsordnungen teilweise sehr viel niedrigere Strafmündigkeitsgrenzen gelten“, sagt Bott. Die deutsche Entscheidung, bei Menschen unter 14 Jahren von schuldunfähigen Kindern zu sprechen, sei daher nicht in Stein gemeißelt, so Bott weiter.

Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Günter Krings (CDU) forderte eine Herabsetzung der Strafmündigkeit zu prüfen. „Das Tötungsdelikt in Freudenberg macht fassungslos. Bei diesem ernsten Thema verbietet sich aber für die Politik ein Schnellschuss. Der Gesetzgeber muss nun gründlich prüfen, ob bei schweren Gewalttaten, bei denen es sich eben nicht um jugendliche Verfehlungen handelt, eine Herabsetzung der Strafmündigkeit erforderlich ist“, sagte Krings unserer Redaktion. „Dazu muss insbesondere auch untersucht werden, ob es eine Zunahme von schweren Straftaten durch Kinder gibt und ob sich der Reifeprozess bei 12- und 13-Jährigen in den letzten Jahren beschleunigt hat“, so Krings.

„Klar ist aber auch, dass sofortige Maßnahmen im Hinblick auf die Täterinnen notwendig sind. Das Bürgerliche Gesetzbuch bietet insoweit ausreichende Möglichkeiten, straffällige Kinder und Jugendliche per Gerichtsbeschluss freiheitsentziehend unterzubringen“, sagte der CDU-Politiker. „Deshalb müssen solche geschlossenen Einrichtungen wieder in allen Ländern stärker vorgehalten werden. Und die Länder und Kommunen müssen diese Möglichkeiten im Bereich der Jugendhilfe viel konsequenter nutzen. Eine falsch verstandene sozialpädagogische Zurückhaltung hielte ich hier für gefährlich“, sagte Krings.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) reagierte tief entsetzt. Kinder unter 14 Jahren würden zwar strafrechtlich nicht belangt, „aber unsere Rechtsordnung kennt andere Wege, um darauf zu reagieren, etwa das Kinder- und Jugendhilferecht sowie das Familienrecht“, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.

Für den Düsseldorfer Juristen Ingo Bott spielt auch das Thema Prävention eine entscheidende Rolle. „Wie gelingt es, solche Gefahren zu verhindern? Wie können auch Kinder an Grenzen herangeführt werden? An welche Art von Aufklärung können und müssen wir auch schon in der Schule denken?“, so Bott. In NRW gibt es seit Jahren bereits einige erfolgreiche Programme wie „Kurve kriegen“. „Es geht darum, die Jugendlichen frühzeitig zu resozialisieren. Kriminelle Karrieren dürfen sich nicht verfestigen. Und dafür gibt es ja auch eine Reihe guter Konzepte in NRW“, so Rettinghaus.

Aber nicht alle gewaltbereiten Kinder und Jugendlichen können mit den Präventionsprogrammen bekehrt werden. „Man sieht an den sogenannten Intensivtätern, die für einen Großteil aller Jugendstraftaten verantwortlich sind, dass Jugendliche weiter schwere Straftaten begehen, weil sie nicht belangt werden können. Diese Intensivtäter wissen, dass ihnen nicht viel passieren kann, wenn sie jünger als 14 Jahre sind“, so Rettinghaus.

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