Bildung Lernen auf Distanz

Die Schulen im Land sind auf unabsehbare Zeit geschlossen. Doch die Bildung soll auch in diesen Zeiten nicht zu kurz kommen. Was Lehrer, Schüler und Eltern tun können, erklärt Gastautor Wolfgang Hallet.

 Arbeiten für die Schule am Laptop: Das Lernen  für die Schule kann auch mit dem Internet funktionieren.

Arbeiten für die Schule am Laptop: Das Lernen  für die Schule kann auch mit dem Internet funktionieren.

Foto: dpa-tmn/Ulrich Perrey

Die Schulen sind geschlossen, aber der Unterricht geht weiter; die Lehrer/innen und Schüler/innen sind nicht in die Ferien geschickt worden, sondern in die vielleicht anforderungsreichsten Schulwochen, die sie je erlebt haben. Man wundert sich deshalb über die Idee, dass die Lehrerinnen und Lehrer nun ganz woanders aushelfen sollen, wo sie angeblich mehr gebraucht werden. Sie haben doch keine Ferien und werden für den Fortgang des Schuljahres mehr denn je gebraucht. In dieser Situation der geschlossenen Schule sehen sie sich in das kalte Wasser einer neuen Art des Unterrichtens und des Lernens geworfen; Schulen und Kollegien suchen nach Strategien für den Fernunterricht, die Schülerinnen und Schüler sind von ihrem vertrauten sozialen Lernumfeld abgeschnitten; und auch die Eltern finden sich unversehens in einer völlig ungewohnten Rolle. Alle Beteiligten müssen nun ihre Rollen neu finden und definieren: Sie alle sind nun selbst auch Lernende.


Homeschooling?

Gleich zu Beginn der coronavirusbedingten Schließung von Schulen hat sich in der Alltagssprache im Nu Homeschooling als Begriff für das häusliche Lernen etabliert. Im kulturellen Kontext offener Bildungssysteme wie dem der USA ist Homeschooling jedoch ein Konzept, in dem die Eltern oder andere Mitglieder der Familie die Rolle der Lehrpersonen einnehmen – außerhalb des Schulsystems. Auf ein solches Konzept außerschulischen Lernens darf in der gegenwärtigen Phase jedoch gerade nicht gesetzt werden. Eltern sind keine Ersatzlehrer/innen, und Lehrer/innen müssen die zentralen, fachlich ausgebildeten Bezugspersonen für eine Lerngruppe und jede/n einzelne/n Schüler/in bleiben. Denn nicht alle Eltern können helfen, und es muss nun erst recht verhindert werden, dass Schüler/innen aus sogenannten bildungsfernen Familien benachteiligt werden.

Das Wichtigste: Kontinuität wahren!

Der Shutdown aller Schulen und Bildungseinrichtungen stellt alles, was wir als Unterricht praktiziert haben und was wir über das institutionelle Lernen zu wissen glauben, infrage. Das betrifft die zeitliche Taktung und die räumliche Ko-Präsenz ebenso wie die soziale Kooperation und Interaktion oder die personale Bindung an Mitschüler/innen und Lehrer/innen.

Die allermeisten vertrauten Formen des schulischen Lernens orientieren sich an diesen Bedingungen. Besonders fragend-entwickelnde Verfahren und alles, was auf direkte Lehrer-Schüler-Interaktion angewiesen ist, ist in der Distanzkommunikation schwierig zu bewerkstelligen. Gerade deshalb kommt es jetzt darauf an, auf möglichst vieles zu setzen, womit die Schüler/innen vertraut sind, also bekannte Lernformen und -wege beizubehalten: die Arbeit mit dem Lehrwerk, bewährte Arbeitsaufträge und Vorgaben, etablierte Aufgaben und Übungsformen, Routinen der Wochenplanarbeit oder des selbständigen Lernens. Auch die Vereinbarung fester zeitlicher Taktungen ist wichtig, zum Beispiel durch die Orientierung am vormaligen Stundenplan. All dies schafft eine Verlässlichkeit und Vertrautheit, die für die Lernenden, ihre Eltern und für die Lehrer/innen gerade jetzt so wichtig ist.


Die Lehrer-Schüler-Kommunikation.

Die Lehrerinnen und Lehrer sind angesichts der neuen Lage aus dem Stand gefordert, Konzepte für das Distanzlernen zu entwickeln. In der Nutzung digitaler Technologien für den Distanzunterricht sind die einen mehr, die anderen weniger erfahren. Dafür ausgebildet sind die allermeisten nicht. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein, damit alle den Mut finden, Neues zu probieren, aus Fehlern und Irrtümern zu lernen und zusammen mit den Lernenden die passenden Wege zu finden. Auch hier gilt: Es muss nicht alles neu erfunden werden. Wir erleben gerade eine Renaissance des Telefonierens und der E-Mail, die man auch auf das Lernen übertragen darf. Die Übermittlung von Arbeitsaufträgen und Arbeitsergebnissen sowie die Rückmeldungen an die Schüler/innen per E-Mail ist ohne technisches Training zu bewerkstelligen, wenngleich zeitaufwendig. Auch eine telefonische Hotline zur Lehrperson für Fragen, Klärungen und Rückmeldungen, am besten zu festgelegten Zeiten, oder Telefon-gestützte Partnerarbeit sind wichtige Wege, den jungen Menschen das Gefühl des Alleingelassenwerdens zu nehmen.


Neue digitale Lernumgebungen.

Wenn das Lernen wirklich digitalisiert werden soll, hängt alles davon ab, welche technischen Umgebungen dafür zur Verfügung stehen. Die größten Analogien zum Lernen im Klassenzimmer lassen sich mit Video-Konferenz-Software erzielen, weil dort sogar der gesamte Unterrichtsdiskurs digitalisiert und mit der visuellen und akustischen Präsenz der Schüler/innen und der Lehrperson im gleichen (digitalen) ‚Raum‘ vonstatten gehen kann. In Unterrichts- und Konferenzplattformen wie AdobeConnect lassen sich sogar alle pädagogischen Funktionen des normalen Klassenunterrichts abbilden, vom Tafelanschrieb über das Aufzeigen durch Handheben und das Unterrichtsgespräch bis zur Kleingruppenarbeit. Auch Lernplattformen wie Moodle sind natürlich sehr geeignet, weil sie von der Bereitstellung von Materialien und Arbeitsblättern bis zu Foren oder Wiki- und E-Mail-Funktionen sehr viele didaktische Optionen anbieten. Freilich gelten zwei Prinzipien: Man muss sich als Lehrer/in mit den gewählten Technologien wohlfühlen in der fachlichen Kommunikation; und man muss bereit sein und den Mut haben, selbst zu lernen und einfach Neues auszuprobieren. Die meisten Oberflächen digitaler Lerninstrumente sind mittlerweile so gestaltet, dass sie sich fast intuitiv erlernen und handhaben lassen.


Die Ausgangsbedingungen prüfen.

Freilich muss stets sehr konkret (selbst fürs E-Mailen) für alle Mitglieder einer Lerngruppe geprüft werden, welche technischen Voraussetzungen für das häusliche Lernen vorliegen; leider ist es auch Realität, dass nicht alle Familien über einen Computer verfügen oder dass Schüler/innen nicht gelernt haben, mit einer Tastatur umzugehen. Daher lautet das Prinzip: Stets zuerst die Ausgangsbedingungen erfassen und ggf. auch die technische Handhabung einüben. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich Gewinn aus der neuen Lage ziehen lässt. Das Distanzlernen ist dann viel mehr als bloß eine Notlösung: Wann, wenn nicht in Phasen wie diesen erfahren junge Menschen die Notwendigkeit, tastaturgebundene längere und kohärente Texte zu verfassen und Schreib-Software zu benutzen?


Was bedeutet das Distanzlernen für die Schüler/innen?

Es ist gewiss nicht sehr überraschend, dass junge Menschen sich im Nu auf neue, digitale Wege des Lernens einlassen. Sie sind neugierig und lernwillig, weil sie mit dieser Art des Lernens an ihre alltäglichen digitalen und medialen Praktiken und Erfahrungen anknüpfen können. Sie werden in ihrer Verantwortung für die eigenen Lern- und Arbeitsprozesse ernst genommen; und wie wir gerade mannigfach sehen, können sie ihre Lehrerinnen und Lehrer auch als YouTuber erleben, die ihnen in Explainer-Videos und Tutorials komplexere fachliche Sachverhalte erklären. Das ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine ganz neue Sicht auf ihre Lehrer/innen. Auch hier winkt ein Gewinn, der über die gegenwärtige Notlage hinausweist: Man kann die gegenwärtige Phase sehr gut nutzen, um digitale Formen und Formate des fachlichen Wissenserwerbs zu etablieren und einzuüben, den systematischeren, fachlichen und zielgerichteten Umgang mit digitalen Technologien zu erlernen und den Kompetenzerwerb im Fachunterricht in Richtung digitaler Fähigkeiten und Wissensformen weiterzuentwickeln.


Was können Eltern tun?

Allein schon durch die nun erzwungene ständige Gegenwart des schulischen Unterrichts in der häuslichen Umgebung und im Familienalltag stellt das Distanzlernen die Eltern vor besondere Herausforderungen. Sie sehen sich vielleicht Fragen und Klagen ihrer Kinder ausgesetzt, wollen helfen und fühlen sich verpflichtet, sie zu unterstützen. Sie sollten sich jedoch nicht in die Rolle von Privatlehrer/innen gedrängt fühlen; dafür sind sie fachlich und pädagogisch nicht vorbereitet, erst recht nicht über die ganze Bandbreite der Schulfächer hinweg und vor allem nicht für den fortgeschrittenen, oft genug sehr spezialisierten Fachunterricht. Eltern können ihren Kindern jedoch helfen, ihre Arbeit zu organisieren, zeitliche Taktungen einzuhalten, Routinen zu erwerben und die schulische Arbeit strikt von anderen Aktivitäten zu trennen. Eltern sollen sich natürlich auch verantwortlich dafür fühlen, dass ihre Kinder über die kommunikationstechnischen Voraussetzungen verfügen: über einen PC mit Tastatur, einen W-Lan-Zugang oder die Registrierung in einer Lern- oder Videoplattform. Vielleicht am wichtigsten: Sie können ihren Schützlingen helfen, die richtigen Fragen zu finden, und sie sollen sie ermutigen, diese auf den vereinbarten Wegen – per Mail, Telefon oder Chat in der Lernplattform – denjenigen zu stellen, die sie am besten beantworten können: ihren Lehrerinnen und Lehrern.

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