Tod eines Pirmasensers bei Polizeieinsatz Sind die Elektropistolen doch nicht so harmlos wie gedacht?

Trier · Der plötzliche Tod eines 56-jährigen Rheinland-Pfälzers nach einem Polizeieinsatz in Pirmasens wirft noch einige Fragen auf.

 Sieht aus wie eine Spielzeugwaffe, hat es aber in sich: die auch von der rheinland-pfälzischen Polizei benutzten Elektroschockpistole.

Sieht aus wie eine Spielzeugwaffe, hat es aber in sich: die auch von der rheinland-pfälzischen Polizei benutzten Elektroschockpistole.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Nach dem Tod eines 56-jährigen Pirmasensers, der zuvor von der Polizei mit einer Elektroschockpistole niedergestreckt worden war, ist die Diskussion über die sogenannten Taser neu entbrannt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert den rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) auf, den Taser-Einsatz vorläufig auszusetzen, bis der Vorfall aufgeklärt sei. Dazu bestehe derzeit „auch aufgrund der bisher positiven Erfahrungen mit dem Einsatzmittel jedoch kein Anlass, sagte Ministeriumssprecher Joachim Winkler unserer Zeitung.

Der Mann aus Pirmasens sollte am Freitag vom Ordnungsamt in die Psychiatrie gebracht werden. An dem Einsatz waren zwei Polizisten beteiligt. Weil der Mann massiven Widerstand geleistet habe, sei der Taser eingesetzt worden, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Zweibrücken.

Auf dem Weg zum Krankenhaus kollabierte der 56-Jährige. Er starb in der Notaufnahme des Krankenhauses an den Folgen eines Herzinfarkts, wie die Obduktion ergab. Ob ein Zusammenhang zwischen dem Polizeieinsatz und dem Tod des Mannes besteht, müsse nun ein rechtsmedizinisches Gutachten klären, sagte die Leitende Oberstaatsanwältin Iris Weingardt. Auf das ausstehende Gutachten verweist auch Grünen-Innenexpertin Pia Schellhammer. Sie warnte vor voreiligen Schlussfolgerungen, fügte aber hinzu: „Wir haben immer darauf hingewiesen, dass der Taser ein medizinisches Risiko birgt.“

Der Experte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Mathias John, hatte schon bei einer zwei Jahre zurückliegenden Anhörung im Mainzer Innenausschuss gemahnt, „dass die Elektroschockdistanzwaffen nicht so harmlos sind, wie es oft dargestellt wird“. In den USA und Kanada sei es bei Taser-Einsätzen wiederholt zu Todesfällen gekommen.

Nach dem tragischen Vorfall in Pirmasens sieht John seine Bedenken bestätigt. Je häufiger Taser eingesetzt würden, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls.

Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatte erst vor wenigen Tagen gesagt, dass bis 2021 alle 72 rheinland-pfälzischen Polizeiinspektionen mit Tasern ausgestattet werden sollen. Bei der Trierer Polizei sind die im Fachjargon Distanz-Elektroimpulsgeräte genannten Taser schon seit längerem erfolgreich im Einsatz. In mehr als 70 Prozent der Fälle habe bereits die Androhung ausgereicht, um Täter zu beschwichtigen, hieß es im vergangenen Jahr nach einem einjährigen Pilotversuch.

Neben der Polizei sollen nach dem Willen des Bundes der Strafvollzugsbediensteten auch Mitarbeiter in rheinland-pfälzischen Gefängnissen mit Tasern ausgestattet werden. Man halte an der Forderung auch nach dem Vorfall von Pirmasens fest, sagte Gewerkschaftschef Winfried Conrad.

Herzinfarkt nach Taser-Einsatz

Von Rolf Seydewitz

Das Pilotprojekt bei der Trierer Polizei lief Ende 2017 gerade mal ein halbes Jahr, da war der damalige Landeschef der Polizeigewerkschaft GdP schon voll des Lobes: „Aus meiner Sicht gehört ein Taser in jeden Streifenwagen“, pries Ernst Scharbach die gelben Elektroschockpistolen. Und auch der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) ließ seine Sympathie für die neu erprobte Waffe erkennen. „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass das Gerät zur Verhinderung gewalttätiger Einsatzverläufe beitragen und somit Verletzungen auf beiden Seiten vermeiden kann“, zog der Minister ein Zwischenfazit.

Anderthalb Jahre später hat der Taser, wie die nach der ehemaligen Herstellerfirma benannten Elektroschockpistolen umgangssprachlich heißen, sein uneingeschränktes „Go“ bekommen.  Alle 72 Polizeiinspektionen in Rheinland-Pfalz sollen die Waffen bis 2021 erhalten, teilte Lewentz erst Mitte vergangener Woche mit. Damit sei das Bundesland das erste, das die Elektroschockpistolen im Streifendienst einsetze.

Nur zwei Tage später passierte das, was man – ohne dem endgültigen Untersuchungsergebnis vorausgreifen zu wollen – wohl zumindest als „Bad-case-Szenario“ bezeichnen muss: Nachdem er von einem Stromstoß aus einem Taser niedergestreckt worden ist, wird ein zuvor heftig randalierender 56-jähriger Pirmasenser von Polizisten überwältigt und in einen Polizeiwagen gebracht. Dort kollabiert er und stirbt wenig später im örtlichen Krankenhaus.

Der Mann starb an einem Herzinfarkt, stellte sich bei der Obduktion heraus. Doch offen ist noch eine Antwort auf die Frage, wie es zu dem Herzinfarkt kam. War am Ende möglicherweise der Taser-Schuss schuld am späteren Tod des Mannes? Noch gibt es dafür offenbar keinerlei gesicherte Erkenntnisse. Die zuständige Staatsanwaltschaft Zweibrücken und das Mainzer Innenministerium verwiesen am Dienstag auf Anfrage unserer Zeitung auf das noch ausstehende rechtsmedizinische Gutachten.

Glaubt man den Beteuerungen der Herstellerfirma, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Elektropistole und dem Tod des 56-Jährigen denkbar gering. 99,75 Prozent der Anwendungen „führten zu keinen schweren Verletzungen“, heißt es auf der Internetseite des Unternehmens unter Verweis auf eine wissenschaftliche Studie.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verweist dagegen darauf, dass der Einsatz von sogenannten Distanz-Elektroimpulsgeräten „verheerende Folgen auf die kröperliche Unversehrtheit bis hin zum Tod“ haben könne. Laut Amnesty sind in den USA zwischen 2001 und 2017 insgesamt 802 Todesfälle dokumentiert, zu denen es beim Einsatz eines solchen Geräts gekommen sei. Riskant sei die Waffe vor allem bei Herzkranken und Schwangeren.

Offenbar ist das auch der Herstellerfirma bekannt.Laut Amnesty-Experte Mathias John hat die Firma ein Sicherheitsblatt herausgegeben, in dem auf besondere Risikogruppen verwiesen werde.

Dazu werde die Empfehlung an die Taser-Benutzer ausgesprochen, nicht auf empfindliche Körperregionen wie den vorderen Brustbereich in Herznähe zu zielen, um das Risiko schwerwiegender Verletzungen und Todesfälle zu reduzieren. In welchem Körperbereich der 56-Jährige getroffen wurde, wissen die Ermittler noch nicht. Die Leitende Zweibrücker Oberstaatsanwältin Iris Weingardt verwies gestern auf Anfrage unserer Zeitung auf das noch ausstehende ausführliche Obduktionsergebnis.

Die Taser-Befürworter lassen sich derweil durch den Pirmasenser Vorfall nicht aus der Ruhe bringen. „An unserer Position hat sich nichts verändert“, sagt die neue GdP-Landesvorsitzende Sabrina Kunz. Zudem müse in dem Fall zunächst das endgültige Untersuchungsergebnis abgewartet werden. Darauf verweist auch CDU-Innenexperte Matthias Lammert. Der Taser sei „ein ganz wichtiges Einsatzmittel“, sagte Lammert unserer Zeitung, „den stellen wir jetzt nicht gleich in Frage“. Zudem sei der Mann nach den Schilderungen anders nicht zu bändigen gewesen.

Ähnlich argumentiert auch Winfried Conrad vom Bund der Strafvollzugsbediensteten, der den Taser gerne als Mittel gegen randalierende Häftlinge einsetzen würde. „Wir haben ja auch den Vorteil, dass wir die Krankheitsbilder der Gefangenen kennen“, hält Conrad mögliche Gefahren des Tasers für kalkulierbar.

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