Interview „Es gab zu lange zu wenig Druck“

Interview | Luxemburg · Die Expertin für nachhaltige Finanzen erklärt, wie Klimaschutzziele das Wirtschaften bestimmen und warum es dazu keine Alternative gibt.

Grüne Geldanlagen und Anleihen: In Zukunft muss die Finanzindustrie aus Versicherungen, Fonds und öffentlicher Hand stärker darauf achten, wie nachhaltig die Anlagen sind.

Grüne Geldanlagen und Anleihen: In Zukunft muss die Finanzindustrie aus Versicherungen, Fonds und öffentlicher Hand stärker darauf achten, wie nachhaltig die Anlagen sind.

Foto: DPA

Klimaschutz im Finanzsektor? Das betrifft sowohl Versicherungen, Pensionsfonds, aber auch die öffentliche Hand. Doch über Klimaschutz-Initiativen im Finanzsektor, dem sogenannten Sustainable Finance, wissen viele nicht Bescheid. Doch auch das Finanzsystem muss sich nach den Pariser Klimaschutzzielen ausrichten. Die Bundesregierung hat einen 34-köpfigen sogenannten Sustainable-Finance-Beirat ins Leben gerufen, der Mitglieder aus Wirtschaft, Finanzindustrie, deutsche Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen und Institutionenvertreter an einen Tisch bringt. Was er tut und wie weit die deutsche Wirtschaft auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, darüber haben wir uns mit Beiratsmitglied Wiebke Merbeth unterhalten. Als Expertin für nachhaltige Finanzen war sie vor kurzem Vortragende auf dem 19. Deutschen Fondstag bei Deloitte Luxemburg, um über den Weg zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft zu sprechen.

Die Bundesregierung gönnt sich seit 2019 einen sogenannten Sustainable Finance-Beirat. Was genau ist seine Aufgabe und warum ist er wichtig?

WIEBKE MERBETH Hier setzen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, um das Land nachhaltiger auszugestalten und Deutschland zu einem der führenden Sustainable Finance-Standorte zu entwickeln. Denn eins ist klar: Wir müssen klimaneutral werden, schließlich haben wir höhere Kosten, wenn wir das Thema noch weiter auf die lange Bank schieben. Die Wirtschaft hat sich dafür stark gemacht, über Sustainable Finance-Instrumente Anreize zu schaffen, wie dem Incentivieren (Anreizschaffung) von grüner Unternehmenstransformation mit Hilfe von „Grünen Anleihen“ oder anderen nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen. Und das wird jetzt sukzessive in die kleineren und mittelständischen Unternehmen und die Zuliefererkette überführt, über Finanzierungs- und über Versicherungsvehikel.

Sustainable Finance, kurz Nachhaltigkeit beim Wirtschaften in ökologischen, sozialen und ethischen Fragen, scheint ewig lange zu dauern. Gibt es da überhaupt Fortschritte?

MERBETH Es geht auch der aktuellen Regierung zu langsam, so viel kann ich sagen. Es gibt eine Grundträgheit im Alltag, und es gab lange zu wenig Druck. Idealerweise übernimmt eine solche Umstellung der Markt. Wir brauchen aber die Regulatorik, um uns eine Richtung und Mindestgrößen vorzugeben. Manches lässt sich oft nur von außen regeln.

Neue Ideen sind oft sehr schwer umzusetzen, so dass es entweder die Regulatorien oder die Incentivierung braucht. Sind die Unternehmen denn für Nachhaltigkeit im Finanzsystem bereit?

MERBETH Nach reiner Betriebswirtschaftslehre müssen wir jetzt sehr stark investieren. Das ist ähnlich wie in der Automobilindustrie. Wenn ein neues Auto entwickelt wird, muss man viele Millionen Euro investieren. Und stets in der Hoffnung, dass das Auto irgendwann vom Band läuft und man in die Gewinnzone kommt. Mit Nachhaltigkeit ist es nicht anders. Der Weg zur Klimaneutralität ist teuer und wird nur über Transparenz und Offenlegung funktionieren.

Wie gut stehen wir denn schon da?

MERBETH Die Offenlegungs-Verordnung und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland sind sehr weit in Sachen Transparenz. Wir müssen uns aber auch der Verantwortung der Zuliefererketten stellen. Das ist eine große Aufgabe, die viele in den Entscheidungsgremien der Unternehmen zusätzlich zu berücksichtigen lernen, schließlich gab es die Regulatorik und Daten in der Vergangenheit nicht.

Als Deutschland sind wir ja nicht allein auf weiter Flur unterwegs. Wie ordnen Sie Deutschland hier im Konzert europa- und weltweit ein? Welche Duftmarken können wir hier setzen?

MERBETH Ich traue dem deutschen Handwerk und dem Mittelstand sehr viel zu. Denn das sind die Einheiten, die stark von der Kreislaufwirtschaft partizipieren, bei denen Reparieren und Recyclen von jeher einen hohen Stellenwert haben, und diese Werte werden zukünftig wieder stärker gefragt sein. Viele Mittelständler sind in den vergangenen Jahren noch mal stärker mit der Wissenschaft zusammengewachsen. Das ist so wichtig, gerade in Rheinland-Pfalz – hier gibt es viel Kooperation, weil man hier die alten Strukturen neu denkt.

Wo sind denn die größten Hürden für die Betriebe auf dem Weg dahin, dass das Thema Nachhaltigkeit quasi in die DNA übergeht?

MERBETH Wenn wir uns zu viel Zeit lassen. Bei Stahl braucht es über zehn Jahre für die Umgestaltung, in der Landwirtschaft braucht es mindestens drei Jahre, um regenerativ aufgestellt zu sein. Wenn wir uns zu viel Zeit lassen, dann wird die Umgestaltung immer teurer, auch weil uns andere Industrienationen den Rang ablaufen. Dazu ist die Zeit reif, Deutschland hat das Kapital und jetzt braucht es wieder Mut für Veränderung.

Sie waren beim deutschen Fondstag in Luxemburg. Wie ist man Ihnen dort begegnet? Wie groß ist die Skepsis?

MERBETH Die Schlüsselaussage war sicher: Wir machen das ja nicht um seiner selbst Willen, sondern um die Risiken jetzt zu visualisieren. Es geht schließlich nicht darum, Renditeniveaus zu hinterfragen, sondern die Risiken im Blick zu haben, auch um zu vermeiden, am Ende gestrandete Vermögenswerte im Portfolio zu riskieren, die nicht mehr verkaufbar sind. Ein Flugzeug mit alter Antriebstechnik, das für 25 Jahre finanziert wird und in Luxemburger Fondsvehikeln bilanziert wird, vermag dafür ein konkretes Beispiel sein. Wir legen den Fokus auf Risikotransparenz, die mit Kennzahlen besetzt wird, die wir in der Vergangenheit noch nicht hatten.

Im Prinzip muss jede Fondsgesellschaft jeden  Fonds auf Herz und Nieren prüfen und „faule Eier“ aus dem Nest werfen?

MERBETH Es gibt bereits heute eine umfangreiche Datenlage, die noch um ein Vielfaches anwächst. Aber wir müssen verstehen, dass wir allein zur Klimabilanz alles prüfen müssen und nun erst mal im kleinen Rahmen beginnen. Wer dann immer noch die alten Geschäftsmodelle im Portfolio behalten möchte, dem muss klar sein, dass die Prämien und Preise für diese Modelle andere sein werden. Wer ein guter Dienstleister in der Finanzindustrie sein will, muss transparent sein.

Wiebke Merbeth (41) ist Partnerin bei der Strategieberatung von Deloitte. Seit 20 Jahren ist sie in der Finanzindustrie aktiv. Darüberhinaus ist sie Mitglied des Sustainable Finance-Beirats der deutschen Bundesregierung. Als Expertin für nachhaltige Finanzen war sie jüngst Vortragende auf dem 19. Deutschen Fondstag bei Deloitte Luxemburg, um über den Weg zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft zu sprechen.

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