Konzerte Totenklage unter Neonlicht

Trier · Kein Misserfolg, aber Anlass zum Nachdenken: 2. Sinfoniekonzert im Theater Trier.

Schon die Optik ist ungewöhnlich. Da gruppieren sich die Notenpulte der Musiker um das Dirigierpult, und alle befinden sich auf gleicher Höhe. Ein klares Signal: Die „Metamorphosen“, die Richard Strauss in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs schrieb, sind kein klassisches Orchesterwerk, sondern eine Komposition für „23 Solostreicher“. Das ist Musik für Solisten mit allen Anforderungen dazu. Niemand kann sich verstecken im Tutti, jeder Musiker, jede Musikerin steht ganz vorne an der Rampe – wörtlich und  im übertragenen Sinn.

Für die Streicher der Trierer Philharmoniker waren die „Metamorphosen“ Herausforderung und Chance. Sie waren genau der richtige Anlass,  um sich zu profilieren, um die Deutlichkeit nach außen und die Kontrolle nach innen zu verbessern. Und das Ergebnis – ein Glanzstück! Jochem Hochstenbach hat das Dirigierpodium abräumen lassen. Er wird so etwas wie ein 24. Solist,  steht mit den Musikern auf Augenhöhe, bewegt sich frei vor dem Orchester, gibt mit großem Schlag mal dieser, mal jener Gruppe Impulse.  Er motiviert, er setzt Akzente. Und: Er gibt der Vielstimmigkeit in diesem Werk klare, eindeutige Konturen. Nichts klingt diffus und vage. Hochstenbach und seine Philharmoniker entwickeln die riesige Sonatenform dieser Komposition in einem weit ausholenden und doch differenzierten Spannungsbogen. Auf den Höhepunkten klingt der junge, der optimistische Strauss mit, der Strauss von „Eulenspiegel“ oder „Tod und Verklärung“. Und dann tritt mit der beklemmenden Generalpause vor der Coda der jähe Absturz ein. Auch danach noch bleibt die Spannung erhalten, bis hin zu den bedeutungsvoll zitierten „Eroica“-Takten der Kontrabässe.

Und dann Mozarts Requiem und mit ihm nach langen Jahren wieder ein klassisches Oratorium im Trierer Theater. Ein Experiment, zweifellos. Experimente können missglücken. Dass sie auch als missglückte noch Sinn haben, steht außer Frage.  Die Probleme beginnen mit dem Chor. Der professionelle, etwa 20-köpfige Trierer Theaterchor (Angela Händel) hat im Haus am Augustinerhof andere Aufgaben als eine Requiem-Aufführung und entwickelte andere Qualitäten. Er beeindruckt mit Schlagkraft und Präsenz, bringt aber die für Mozart notwendigen A-cappella-Qualitäten wie Homogenität, Intonationsreinheit und sängerische Flexibilität nur bedingt auf. Gerade in Piano-Partien wie dem „Lacrimosa“ indes zeigt sich: Da versteckt sich ein Potenzial, das nur aktiviert werden müsste.

Defizite gab es auch beim Orchester, das vor der Pause noch brilliert hatte. Jetzt  zeigte es sich merkwürdig zurückhaltend. Das nahm dem einleitenden „Introitus“ die Spannung. Und auch im  Holz- und Blechbläsersatz kam es nicht zu der notwendigen Ausgewogenheit und Beweglichkeit. Schließlich beherrschten unter den Solisten nur  Altistin Janja Vuletic und Tenor Blaise ­Rantoanina einen echten Mozart-Gesangsstil –  ­Rantoanina freilich muss sich sängerisch noch entwickeln. Bass Karsten Schröter liefert seine Partie markant, aber auch reichlich neutral ab. Und Sopran Réka Kristóf, die im Trierer „Don Giovanni“ als Elvira brillierte,  fehlten die Ausgewogenheit, Legatokultur und Leichtigkeit, die das Requiem nun einmal braucht.

Neutralität war das eigentliche Problem dieser Aufführung. Auch Hochstenbach gelang es nicht einmal im Ansatz, die Stimmung einer Totenmesse zu beschwören. Bei konzertanter Aufführung im Theater mit seiner nüchternen Optik und trockenen Akustik kommen solche Stimmungen einfach nicht auf. Es wirkte, als habe man Mozarts große Totenklage unter Neonlicht gesetzt.

War die Aufführung des Requiems ein Misserfolg? Das ganz sicher nicht. Aber für Nachbesserungen und Neuformierungen gibt es doch eine ganze Reihe guter Gründe. Werden sie beachtet, dann haben Theater, Chor und Orchester die Chance, regelmäßig Oratorienkonzerte auf das Programm zu setzen. Damit würden sie  eine alte, halb vergessene Tradition wieder aufnehmen.

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