Kultur Sex, Drugs und Pappmaschee

Trier · Ein erster Eindruck: Ulf Dietrich inszeniert seine mit Manfred Langner verfasste Revue „Buntes Republik“ im Theater Trier.

 Zurück in die 60er: Die Kulisse von „Buntes Repubik“ mit Barbara Ullmann als Elfie, die Haushälterin, und Harald Pilar von Pilchau als Heinrich Bunte. 

Zurück in die 60er: Die Kulisse von „Buntes Repubik“ mit Barbara Ullmann als Elfie, die Haushälterin, und Harald Pilar von Pilchau als Heinrich Bunte. 

Foto: Theater Trier

Man sollte es kaum glauben, aber es ist noch da: Theater fast wie in alten Zeiten! Das Haus voll (mit den 400 erlaubten Gästen), Bombenstimmung auf und vor der Bühne, permanent Szenenapplaus und zum Schluss ausgelassener Jubel. „Buntes Republik“, 2013 in Aachen uraufgeführt, ist unversehens zum Durchhaltestück mutiert.

Regisseur Ulf Dietrich hat die 60er-Jahre-Revue zusammen mit Intendant Manfred Langner verfasst. Schamlos haben die beiden Klischee an Klischee genäht und die Stereotypen zum dramaturgischen System erhoben. Als „Unterhaltungsstück mit Musik in Schwarz-Weiß“ funktioniert das prächtig, wobei dem „Schwarz-Weiß“ eine Doppeldeutigkeit innewohnt, die aus Gründen des Überraschungseffekts nicht verraten werden soll. Schwarz-weiß sind auf jeden Fall auch die Charaktere: entweder total spießig oder revolutionär, verklemmt oder zügellos, Mann oder Frau. „Genderfluid“ – so‘n Tüddelkram kam in den 60ern jedenfalls nicht in die Tüte (von denen im Verlauf des Abends immerhin einige gequalmt werden).

Über der Ehe von Heinrich und Gertrud Bunte schwebt ein Hauch von Billy Wilders „Eins, zwei, drei“: Heinrich, schneidiger Unternehmer mit Führer-Attitüde (Harald Pilar von Pilchau), erwartet sich vom aufkommenden Farbfernsehen ordentlich Schwung für seine Möbelproduktion. Hört bis dato alles auf sein Kommando, haben die 68er der Jugend und den Frauen zu viele Flausen in den Kopf gesetzt. Prompt versinkt Heinrich in Selbstmitleid, als er merkt, dass seiner Herrscherrolle die Autorität abhanden kommt. Immerhin ist der Betonkopf lernfähig, vor allem, als er nach dem Genuss von Haschkeksen außer Rand und Band und mitten in die Raumpatrouille hineingerät.

 Stephanie Theis als Gertrude Bunte und Harald Pilar von Pilchau als Heinrich Bunte.

Stephanie Theis als Gertrude Bunte und Harald Pilar von Pilchau als Heinrich Bunte.

Foto: Theater Trier

Ihm zur Seite steht die famose Stephanie Theiß: Gertrud, die vordergründig Unterwürfige, aber steinhart resolute Gattin, hat den Alten fest in der Hand. Und nicht erst, seitdem sie von seinem Verhältnis mit der Sekretärin weiß, hat sie eigentlich genug von ihm. Es muss ein Leben jenseits der Schrankwände geben, und das entdeckt sie bei der Lektüre von Oswalt Kolle. Wie ihr beim Blättern durch den Mann, das unbekannte Wesen, ein Licht aufgeht, ist eine (tolle) Nummer für sich: Ihre Augen werden groß und größer, als sie erfährt, dass es nicht schadet, zwecks Belebung ihres darbenden Sexuallebens Dinge in den Mund zu nehmen wie ein Eis am Stiel (nur ohne Eis). Da der angeheiratete Spießer für derlei Experimente nicht zur Verfügung steht, landet die Frustrierte schließlich beim Bhagwan in Puna, wo sie bei einer Mitjüngerin (Luisa Braz Batista) sieht, wie man mit simplen Atemübungen das höchste der Gefühle erreichen kann. „Werde ich das auch erleben?“, fragt sie hoffnungsvoll ihren Guru, doch der singt ihr zum Trost: „Das ist die Frage aller Fragen ...“ 

Von der Provinz nach Puna und Berlin: Die Handlung schlägt wilde Kapriolen, geographisch wie inhaltlich, aber jede ist so, wie man es erwartet. Überraschend ist nur, was die Schauspieler(innen) daraus machen. Ihnen allen gönnt Regisseur Dietrich ihren Andy-Warhol-Moment. Zwar nicht fünfzehn, aber immerhin fünf Minuten gehört ihnen das Rampenlicht allein: Da ist Anna Pircher als Tochter Uschi, die sich in den Revoluzzer Karl-Friedrich (von Lennart Hillmann mit markig polternder Revolutions-Attitüde gespielt und gesungen) verguckt, der mit „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ aus der Familie Bunte einen (Ton, Steine und) Scherbenhaufen macht. Als Uschi zu ihm in die Berliner Kommune zieht, besteht das Aufnahmeritual aus einem öffentlichen Klobesuch, und nach anfänglicher Ziererei lässt Uschi tatsächlich vor aller Augen das Höschen runter. Freilich ist auch in der Kommune nicht alles eitel Zukunft: Zwar findet vor der Diskussionsrunde die tägliche Orgie statt, aber fehlende Socken suchen und Klobrille putzen bleibt nach wie vor den Mädels überlassen. Schöne neue Welt? Von wegen!

Giovanni Rupp als Gastarbeiter Giorgio glänzt mit einer auf Italienisch heruntergerasselten Lektion in Sachen Frauenverführung, von der Raphael Christoph Grosch als Buntes Geschäftsführer Dr. Olaf Baumann nicht einmal Bahnhof versteht. Er hat‘s mehr mit Französisch, und das beweist die herrlich verklemmte Büroklammer im Zusammenspiel mit Chefsekretärin Brigitte (Bianca Spiegel). Mit der femme fatale des Vorzimmers liefert er eine spektakuläre Version von Serge Gainsbourgs Kopulations-Hymne „Je t‘aime (moi non plus)“, bei der nicht nur der Teppich ins Rutschen gerät, auf dem die beiden ihre gymnastischen Übungen vollziehen. Barbara Ullmann als Haushälterin Elfie ist ein verhuschter Hausgeist (anrührend, wie sie sich beim Tanz im Hause Bunte ebenso verschämt wie vergeblich nach einem Tanzpartner verzehrt), der Hildegard-Knef-mäßig aufdreht, als sie, nach ihren Wünschen gefragt, showstopperartig „Ich möchte am Montag mal Sonntag haben“ auf die Bretter legt. Stephan Vanacek taucht unter anderem als Gutes Gewissen aus der Persil-Werbung auf, und Tamara Theisen sächselt sich auf Deibel gomm raus durch ihren Auftritt als DDR-Volksarmistin.

Für die musikalische Begleitung von Gerhard Wendtland („Tanze mit mir in den Morgen“) bis Steppenwolf („Born to be Wild“), die die Mitwirkenden inklusive des Ballettensembles mit teils bewunderswerter Röhre, teils kraftvollem Schmelz vortragen, sorgt, stilsicher in sämtlichen Genres,  H. C. Petzold mit seiner Band. Dieter Teßmann zeichnet für das kunstvoll verschachtelte Bühnenbild; bei den Kostümen hat sich Monika Seidl mächtig ins Zeug gelegt.

Der Karneval ist in diesem Jahr wieder abgesagt worden. Was soll‘s – es gibt ja „Buntes Republik“ im Theater als vollwertigen närrischen Ersatz. Da muss wenigstens keine/r draußen in der Kälte stehen.

Die nächsten Aufführungen: 15. Januar, 13. Februar, 6. März, 1. April; Karten: 0651/718-1818.  

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