Musiker stellt Buch vor Auf literarischen Pfaden - Campino liest und singt in Trier beim Open-Air (Fotos)

Trier · Warum der Schuster nicht unbedingt bei seinen Leisten bleiben muss, beweist der Frontmann der Toten Hosen. Campino hat in Trier nämlich sein Buch vorgestellt. Natürlich blieb es nicht beim Lesen allein.

Campino in Trier: Eine Buchlesung mit Musik
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Campino in Trier: Eine Buchlesung mit Musik

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Foto: TV/Dirk Tenbrock

Wo am Sonntag noch der 70-jährige Wolfgang Niedecken „For­ever Young“ des 80-jährigen Bob Dylan sang und dabei sein Buch vorstellte, steht heute der (fast) 60-jährige Campino und stellt, steil auf der Nostalgiewelle der Erinnerungen surfend, ebenfalls ein Buch vor. Dessen Name: „Hope Street. Wie ich einmal englischer Meister wurde“. Auch er hat zur Unterstützung einen Musiker dabei, Kuddel, den Gitarristen seiner Band Tote Hosen. Und es gibt, sehr zur Freude der 500, oft in Hosen-Tour-Shirts gekleideten und zumindest mit Punk-Attitude angereisten Fans, auch einige Songs der Band zu hören. Bei den von Campino angestimmten FC-Liverpool-Fangesängen fremdeln die Zuhörer ein bisschen, dessen ist sich der charismatische Deutsch-Engländer sehr bewusst: „Ich sehe das Entsetzen in euren Augen, aber das ist so gewollt.“

Am Montagabend, nach der Düsseldorfer Lesung, hatte es ein 45-minütiges Spontankonzert der Toten Hosen in ihrer Heimatstadt gegeben, das hätte dem Trierer Publikum auf dem ausverkauften Arena-Vorplatz sicher auch sehr gefallen. Die Damenriege ganz vorne gibt unumwunden zu, dass sie an Konzert-Entzug leiden und gerne ein bisschen mehr Hosen-Flair von ihrem Idol Campino hören würden. Natürlich gibt es aber, immer im Wechsel mit den persönlichen Geschichten aus dem Buch, einige Klassiker der Hosen zu hören, wie das balladeske, fast unbekannte, „Hope Street“ oder Covers wie „No Good“ und „Ferry across the Mersey“. Campino erzählt in seinem Buch von seiner Leidenschaft für den FC Liverpool, dessen lebenslanger Hardcore-Fan er ist, von Erlebnissen, auch trivialen, bei Auswärtsspiele-Reisen. Und er offenbart einiges aus seiner Familiengeschichte, sein angespanntes Verhältnis zu dem stocksteifen, deutschen Vater und seiner fürsorgenden, englischen Mutter. Er schwärmt in poetischen Bildern von seiner Kindheit in der Großfamilie an den Stränden Cornwalls, frei und ungezwungen in der Natur. Eigentlich sei er beim Tod der Eltern gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts mit ihnen im Reinen gewesen, erst später -und auch bei der Arbeit an diesem autobiographischen Buch- sei ihm klar geworden, dass doch noch einige ungestellte Fragen übrig waren. Er glaubt aber an eine starke Verbindung zwischen den Lieben, die von uns gegangen sind, das gibt ihm Trost. Dazu passt wunderbar Johnny Cashs Lied „If we never met again this Side of heaven.” Nach Entsetzen und Melancholie stürzen Campino und Kuddel die Fans aber dann auch in Ekstase. Kaum sind die ersten Töne von „Steh auf, wenn du am Boden liegst“ gespielt, geht die Post ab, alle springen auf, singen mit, eine Hosen-Fahne wird geschwenkt. Doch gemach, erst kommen noch Geschichten: Die seiner kurzen und erfolglosen, eigenen Fußballkarriere, die von der Niederlage und dem Sieg in den Champions-League-Finals und den dazugehörigen, wüsten Partys mit seinem Freund, Jürgen Klopp. Der Stil des Buches ist recht einfach, salopp, locker, da steckt viel davon drin, wie Campino das in einer lockeren Runde wohl zum Besten geben würde. Was nicht heißt, dass das nicht tiefgründig ist, vor allem in den Passagen über das doch ambivalente Verhältnis zu seinen Eltern und seinen zwei Nationalitäten, geht es ans Eingemachte. Hochstimmung in der Open-Air-Arena auf dem Arena-Vorplatz kommt wieder bei „Liebeslied“, „An Tagen wie diesen“ und natürlich bei der ultimativen Liverpool-Anfield-Road-Hymmne „You never walk alone“ auf. 500 Hosen-Enthusiasten werden nun endgültig zu Fußballfans und singen -es läuft einem kalt den Buckel runter- einen A-Capella-Chor.

 Campino auf literarischen Pfaden.

Campino auf literarischen Pfaden.

Foto: Dirk Tenbrock
 11.08.2021, Rheinland-Pfalz, Trier: Gemälderestaurator Dimitri Scher (l-r) erläutert der rheinland-pfälzischen Kulturministerin Katharina Binz und Heike Wernz-Kaiser Kaiser, Leiterin Stadtmuseum Ahrweiler, die bevorstehenden Raustaurationsarbeiten an den verschlammten Bilder aus dem Hochwasser. Die Bilder wurden aus dem überfluteten Stadtmuseum in Bad Neuenahr-Ahrweiler geborgen und in die Obhut anderer Museen in Rheinland-Pfalz gebracht. Foto: Harald Tittel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

11.08.2021, Rheinland-Pfalz, Trier: Gemälderestaurator Dimitri Scher (l-r) erläutert der rheinland-pfälzischen Kulturministerin Katharina Binz und Heike Wernz-Kaiser Kaiser, Leiterin Stadtmuseum Ahrweiler, die bevorstehenden Raustaurationsarbeiten an den verschlammten Bilder aus dem Hochwasser. Die Bilder wurden aus dem überfluteten Stadtmuseum in Bad Neuenahr-Ahrweiler geborgen und in die Obhut anderer Museen in Rheinland-Pfalz gebracht. Foto: Harald Tittel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Harald Tittel

Dann beschließt Campino den über zweistündigen Abend mit dem Ausruf „Schuster bleib bei deinen Leisten“, nachdem er mit dem ganz professionell coolen Kuddel das „Eisgekühlter Bommerlunder“ rausgehauen hatte. Und den Schlusssatz legt er dem Reporter auch noch augenzwinkernd in den Mund: „Es sollte eigentlich ja ein hochliterarischer Abend werden, aber dann endet es doch wieder mit einem Sauf-Fiasko!“

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