Faszination Mittelalter Der Heilige Bant(h)us und seine Domchoralen

Trier · Eine heilige Messe ohne Gesang? Kaum vorstellbar, auch im Mittelalter nicht. Und so bildeten bereits die Trierer Domherren vor mehr als 1000 Jahren ihre eigenen Sängerknaben aus — in einem Internat.

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Foto: TV/Hartmann, Simon

Wer vom Platz hinter dem Trierer Dom in Richtung Konstantin-Basilika geht, stößt nach wenigen Metern gegenüber der Predigerstraße auf ein Schild mit seltsamer Inschrift.. „Banthusstraße“ steht da über dem Holztor, das in die Mauer eingelassen ist. Wer sich dann weiter Richtung Konstantinstraße bewegt, trifft rechts auf ein Tor mit Rundbogen und schmiedeeisernem Gitter. „Seminarium Sancti Banti“, Seminar des heiligen Bantus, steht in leicht verwaschener, aber noch gut erkennbarer Schrift auf dem Bogen. Und hinter dem Gitter begegnet man dem barocken Eingangsportal zu einer bescheidenen Kapelle. Es ist die Bantus-Kapelle, eines der letzten architektonischen Zeugnisse mittelalterlicher Musikkultur am Trierer Dom.

Wer dazu an Ort und Stelle Näheres erfahren will, wird allerdings weitgehend allein gelassen. Kein Hinweisschild, keine Tafel informiert über Bogen, Kapelle, die Inschrift und über die Namensvariante im Straßenschild. Aus unbekannten Gründen schreibt sich der Name „Banthus“ auf den Straßenschildern mit „h“ in der Wortmitte, während sonst die Namensbezeichnung immer ohne „h“ geschrieben wird – also „Bantus“. Touristen verirren sich nur selten in diesen Bezirk. Und auch den meisten Trierern werden der Straßenname und die Torbogen-Inschrift nicht viel sagen. Dabei verbirgt sich hinter den unscheinbaren Relikten eine bedeutende kirchenmusikalische Vergangenheit. Weit mehr als 1000 Jahre lang befand sich hier ein „erster Ort“ der Dommusik, ein Internat für die Chorsänger an der Bischofskirche. Sie waren ausnahmslos Knaben. In Mittelalter und Neuzeit nannte man sie die „Domchoralen“. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie im Trierer Dom eine altgewohnte Erscheinung – eine Basis der Dommusik.

Die Geschichte von Bantus und den Trierer Domchoralen reicht weit zurück ins frühe Mittelalter. In den Jahren um 700 lebten in Trier der Priester und Eremit Bantus und dessen Bruder Beatus. Sie wurden wegen ihres heiligmäßigen Lebens als Heilige verehrt. Welche musikalische Bedeutung die Bantusbrüder im Trierer kirchlichen Leben entfalteten, muss offenbleiben. Fest steht indes, dass es bereits in dieser Zeit am Dom eine qualifizierte Kirchenmusik gab, denn eine Urkunde von 924 erwähnt einen Musiker namens Otter als Domkantor. Er leitete die Kirchenmusik am Dom und damit auch die Domchoralen. Ein Gründungsdatum gibt es für die Trierer Choralen zwar nicht, indes dürfte sich ihr Einsatz um dieselbe Zeit vollzogen haben wie in anderen Metropolitankirchen, nämlich im Lauf des 13. Jahrhunderts. Im Jahr 1215 jedenfalls wurden die Trierer Choralen urkundlich erwähnt, wobei es heißt, sie seien in einer klösterlichen Gemeinschaft zusammengefasst – dem Bantus-Hospital.

Im Trierer Bantus-Hospital kamen mehrere Aufgaben zusammen: Die Aufnahme von Reisenden, Kranken und begabten, aber mittellosen jungen Menschen, und dazu bei letzteren eine Vermittlung des damaligen Bildungskanons, in dem die Musik ein Hauptfach der „Sieben freien Künste“ war. So muss es ganz selbstverständlich gewesen sein, dass begabte Knaben gemeinsam mit dem erwachsenen Klerus die musikalische Ausgestaltung im Gottesdienst der Domkirche übernahmen. Im Gegenzug mussten sich die Trierer Domherren um den Lebensunterhalt und wohl auch die Ausbildung der Bantus-Schüler kümmern. So verpflichtet ein Statut von 1373 den Trierer Domprobst und den Domdechanten, für je zwei „scholares chorales“ den Unterhalt zu bestreiten. Außerdem mussten acht weitere Mitglieder des Domkapitels je einen Choralen unterhalten, so dass sich die Zahl der Choralen auf zwölf belief. Noch in einem Statut von 1451 wird die Unterhaltspflicht für zwölf Choralen durch die Kanoniker betont. Die Choralen werden dabei als „pauperes“ – als Arme – bezeichnet, die auf Unterstützungen, die „beneficia simplicia“, angewiesen waren.

1592 ging aus dem Hospital das Bantusseminar hervor mit dem erklärten Ziel, begabte Knaben für den geistlichen Dienst vorzubereiten. Damit war eine spezielle musikalische Ausbildung verbunden, denn die Choralen sollten für die Musik zuständig bleiben. So bittet der Trierer Kurfürst Johann IV. Ludwig von Hagen (Regierungszeit 1540-47) das Domkapitel, den Choralen Stephanus Vasatorius in das Seminar aufzunehmen, da er „mit Singen geschickt“ sei und auch den „brauch unserer Domkirchen weyß“.

Die musikalische Ausbildung war im Mittelalter dringend geboten angesichts der hoch komplexen, polyphonen Musik dieser Zeit. Aber auch der nur scheinbar einfache, einstimmige Gregorianische Choral bedurfte einer speziellen Schulung. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Trierer Domchoralen auch die groß angelegten Kompositionen des 16. Jahrhunderts einstudiert haben – die Musik von Palestrina oder Orlando di Lasso, die heute als „klassische Vokalpolyphonie“ gilt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts griff die Dommusik die in Venedig praktizierte, „venezianische Mehrchörigkeit“ auf. Laut Ratsprotokoll wurde zur Einführung des Kurfürsten Carl Caspar von der Leyen im Jahr 1652 „zu unterschiedlichen Chören daß Te Deum“ gesungen.

Mit der Einführung von Instrumenten in die Dommusik führte man vom Jahr 1698 an auch Orchestermessen auf. An alledem waren die Domchoralen beteiligt; zahlenmäßig durchaus bedeutend. Ein Namensverzeichnis für die Zeit ab 1593 bis 1846 listet 156 Personen auf und zwischen 1832 und 1869 sind nochmals weitere 31 Choralen und sieben Hilfschoralen nachweisbar – eine stattliche Anzahl.

Die Zeit der Choralen kam indes mit der Machtübernahme der französischen Revolutionstruppen zu einem jähen Ende. 1798 wurde das Bantusseminar aufgelöst. Zehn Jahre später — 1808 — gründete Triers damaliger Bischof Mannay aus Finanzmitteln des ehemaligen Bantusseminars eine Trierer Dommusikschule. Sie blieb auch unter preußischer Verwaltung (ab 1815) bestehen. Allerdings bestand über ihre pädagogischen und künstlerischen Ziele zunehmend Unklarheit. Nach langem Streit führte der Spruch einer Schiedskommission im Jahr 1904 schließlich zu einem Kompromiss. Der indes war für die Domchoralen ein leiser, aber endgültiger Abschied. Dazu schreibt der Musikforscher Gustav Bereths: „Das Fazit des Schiedsspruches brachte an sich nichts Neues: Die Stipendiaten mussten zum Priesteramt geeignet sein und eine gute Stimme haben. Das Wort „Choralen“ ist in dem Schiedsspruch nicht enthalten. Es wurde auch in Zukunft nicht mehr gebraucht, da die Choralen schon seit geraumer Zeit in den Domchor inkorporiert waren und ein eigenes Choralinstitut nicht mehr bestand.“

 Stolze Vergangenheit: Das erweiterte Bantus-Seminar von 1774, an das heute noch das Portal erinnert. Einen Hinweis findet man auch noch im Torbogen des ehemaligen Internats. Und dann wäre da noch eine Straße, die an den Trierer Heiligen erinnert (Fotos im Uhrzeigersinn).

Stolze Vergangenheit: Das erweiterte Bantus-Seminar von 1774, an das heute noch das Portal erinnert. Einen Hinweis findet man auch noch im Torbogen des ehemaligen Internats. Und dann wäre da noch eine Straße, die an den Trierer Heiligen erinnert (Fotos im Uhrzeigersinn).

Foto: Museum Am Dom Trier
 Domchoralen Trier

Domchoralen Trier

Foto: Martin Möller
 Domchoralen Trier

Domchoralen Trier

Foto: Martin Möller
 Domchoralen Trier

Domchoralen Trier

Foto: Martin Möller

So bleibt die Bantus-Kapelle ein wichtiges Denkmal aus der Zeit von Bantus-Hospital und Bantus-Seminar und zugleich eine bedeutende Erinnerung an die Trierer Domchoralen.

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