Die Kulturwoche, betrachtet von TV-Mitarbeiter Rainer Nolden Rollende Wagen und grollende Politiker

Aber der Wagen, der rollt“, sang einst der vierte Bundespräsident dieses Landes und stürmte damit als erster und bislang einziger FDP- und überhaupt Politiker die deutschen Hitlisten. 15 Wochen tummelte Walter Scheel sich Anfang 1974 in den Charts zwischen Abba, Gunter Gabriel, The Sweet oder Albert Hammond, nachdem er das Lied 1973 in der Wim-Thoelke-Show „Drei mal Neun“ präsentiert hatte.

 Mykal Rand singt als E-Lok Elektra im Musical „Starlight Express“.

Mykal Rand singt als E-Lok Elektra im Musical „Starlight Express“.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Nicht schlecht für einen Staatsmann – aber ein Wimpernschlag im Vergleich zu anderen Wagen. In Bochum rollen die des „Starlight Express“ im Juni seit nunmehr 30 Jahren. Das heißt, die Sänger und Sängerinnen sausten bislang rund 11 700 Mal auf ihren Rollschuhen durch die Halle. Von Materialermüdungserscheinungen keine Spur. Nur die Darsteller müssen hin und wieder ersetzt werden. Damit gehört der „Starlight Express“ von Andrew Lloyd Webber und dem Texter Richard Stilgoe zu den langlebigsten Musicals nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Am 12. Juni ist die Geburtstagfeier in der seinerzeit mit viel Tamtam erbauten und noch mehr Brimborium eröffneten „Starlight Halle“. Die Stadt im Ruhrgebiet hat ihre Kohlegruben zugeschüttet und sich eine Goldgrube für den Tagebau gesichert (na ja, eher für den Abendbau). Allein im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Theater mehr als 26 Millionen Euro. Und ein Ende des Goldrauschs ist nicht abzusehen: „Wir gehen davon aus, dass wir noch mal fünf bis zehn Jahre spielen können.“, hofft Maik Klokow, Geschäftsführer des in Düsseldorf sitzenden Veranstalters „Mehr! Entertainment“. Die Hoffnung ist berechtigt: Solange es nachwachsende Kinder gibt, gibt es auch Eltern, die sich mit ihnen die Show ansehen müssen.

Bleiben wir beim Theater – und was für einem: Die AfD hat es gerade als weiteren Lieblingsfeind entdeckt. Klar, dass den aufrechten Gesinnungsparteigenossen diese Institution grundsätzlich zu links, zu liberal, zu multikulti – kurz: einfach zu undoitsch ist. Es ist ja auch, seien wir ehrlich, eine Zumutung, wenn zum Beispiel im thüringischen Altenburg, wo sprachliche Ausfälle nach ultrarechts nicht unbedingt den Parteiausschluss nach sich ziehen (Herr Höcke wird ja wohl noch sagen dürfen …!), auf der Bühne des dortigen Theaters die Titelfigur einer urdeutschen Tragikomödie, „Der Hauptmann von Köpenick“, einem Ausländer anvertraut wird. Mehr noch: einem Schwarzen aus Burkina Faso! Schlimm genug, dass deutsches Obrigkeitsdenken und hohles Militärgerassel bei Zuckmayer durch den Kakao gezogen wird. Aber wenn der Schauspieler Ouelgo Téné, bei dem man schon am Namen hört, dass er nicht aus Braunschweig, Neckarsulm oder Bitterfeld gebürtig ist, sich erdreistet, in deutscher Uniform mit Hilfe von einigen Soldaten, die vor eben dieser Uniform einen Heidenrespekt haben, das Rathaus in Köpenick zu stürmen, um endlich eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, die man ihm wegen fehlender Arbeitsstelle verweigert (klingt irgendwie aktuell, nicht wahr?) … da brat mir doch einer einen Storch! Die Nazis hatten’s gut, die konnten die 1931 uraufgeführte und extrem erfolgreiche Komödie 1933 einfach verbieten. So was geht ja heutzutage nicht mehr so leicht. Wenigstens konnten die Altenburger den Hauptdarsteller auf der Straße beleidigen („Sprich erst mal richtig Deutsch!“) – aber das ist ja auch keine Endlösung.

Da aber jeder Deutsche das Recht zu kultureller Bildung hat, könnte man doch irgendwo weit weg im Osten ein Alfred-Hugenberg-Theater eröffnen, mit einem rein(en) deutschen Ensemble, wo multikulti pfui ist, dafür Stücke auf dem Spielplan stehen, die heldische Herzen erwecken, für Bereicherung des Seins oder Läuterung des Gemüts sorgen. Und einmal im Jahr könnten sogar Thing-Spiele abgehalten werden. AfD-Mitglieder, die sich ausweisen können, haben natürlich freien Eintritt!   no/dpa

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