Archiv Alternativer Literaturnobelpreis für Maryse Condé: Ein Coup für Trier

Trier · Mit der Vergabe des „Alternativen Literaturnobelpreises“ an Maryse Condé rückt auch der Spezialverlag Litradukt in den Blick der Buchfans.

Als in diesen Tagen die Neue Akademie in Schweden ihren Alternativen Literaturpreis an Maryse Condé vergibt, ist dies aus gleich zwei Gründen bemerkenswert. Denn dieser Preis an die französische Autorin von der Karibikinsel Guadeloupe wird anstelle des Literaturnobelpreises vergeben. Er war im Frühjahr von 100 schwedischen Autoren, Journalisten und Künstlern als Crowdfunding-Projekt und als Reaktion auf einen Belästigungsskandal in der altehrwürdigen Schwedischen Akademie ins Leben gerufen worden.

Der Skandal um den Ehemann eines langjährigen Mitglieds hatte das Gremium so stark getroffen, dass in diesem Jahr die Vergabe des regulären Literaturnobelpreises ausgefallen ist.

Dennoch hat die Auszeichnung für Aufsehen erregt, konnten sich doch immerhin 33 000 Menschen aus der ganzen Welt am Auswahlprozess der von schwedischen Bibliothekaren vorgeschlagenen vier Autoren beteiligen. Dass die Wahl auf Maryse Condé gefallen ist, ist einerseits ihrer seit mehr als sechs Jahrzehnten dauernden akribischen und ungeschönten Aufarbeitung ihrer afrikanischen Wurzeln als Kreolin in der französischen Karibik zu verdanken, andererseits wohl ihrer „Meisterschaft der atmosphärisch dichten Erzählung komplexer geschichtlicher Zusammenhänge“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihr Werk beschreibt. „Ich habe nicht mit der Auszeichnung für Maryse Condé gerechnet“, sagt Peter Trier, Übersetzer ihres Romans „Victoire“ (2011) im Trierer Spezial­verlag für französischsprachige Literatur aus der Karibik.

Womit wir bei der zweiten Besonderheit des Alternativen Literaturnobelpreises wären. Maryse Condé ist Französin und schreibt auf Französisch. Bislang sind erst acht ihrer 21 Romane auf Deutsch erschienen, darunter mit „Victoire“ die von Peter Trier „glänzend übersetzte“ (FAZ) Geschichte ihrer Großmutter auf Guadeloupe. Dort ist Condé 1937 geboren und wohlbehütet als Sprössling einer aufstrebenden schwarzen Bürgertum-Familie groß geworden. Sie hatte die französische, weiße Kultur völlig verinnerlicht und sich von der schwarzen Bevölkerung abgegrenzt, obwohl sie selber schwarz ist. Mit 16 bricht sie aus, geht zum Studium nach Paris und entdeckt dort, wie die Hautfarbe eine Rolle in ihrer sozialen Identität spielt. Sie erforscht ihre schwarzen Wurzeln, arbeitet zehn Jahre als Lehrerin in Westafrika und wird Mitte der 1970er Jahre Professorin an der Sorbonne. So wie ihre Mutter als erste schwarze Gymnasiallehrerin auf Guadeloupe auffällt, so fällt auch Maryse Condé als schwarze Frau in der männlich-weiß dominierten Eliteuni auf.

Die Erforschung der schwarzen Identität, das Erbe der Kolonialzeit, die Rolle der Frauen – diese Themen stehen stets im Mittelpunkt ihrer Literatur. „Die Sklaverei ist nicht tot. Sie wird nur in einer akzeptableren Form fortgesetzt“, hat Maryse Condé einmal gesagt. 1984 Jahre wird sie mit ihrem Familien-Epos „Segu“ schlagartig auch in Deutschland berühmt. Seitdem sind gut 20 Romane erschienen sowie Theaterstücke und Essays.

Als Peter Trier 2011 mit „Victoire“ die Geschichte von Condés Großmutter ins Deutsche übersetzt, ist es schon ruhig um die Autorin geworden. Doch Peter Trier reizt „das Sittengemälde Condés aus der Karibik“, sagt er. Heute sei es kaum mehr vorstellbar, welche Bräuche und Selbstverständlichkeiten es zum Ende des Kolonialismus noch gab, als Väter ihre Töchter auspeitschten, um zu erfahren, wer sie geschwängert hat. „Dieser Roman – halb Bericht, halb Biografie – ist einerseits sehr ehrlich, weil ungeschönt, aber auch humorvoll, weil es zwischen den Zeilen immer wieder kleine Anekdoten gibt, die das Buch zusätzlich lesenswert macht“, sagt der Übersetzer.

Und was bedeutet der Alternative Literaturnobelpreis für den Trierer Verlag? „Maryse Condé war die erste karibische Autorin in unserem Programm“, sagt Peter Trier. Nach Bekanntgabe der Auszeichnung für die 81-jährige Autorin bringt Litradukt dieser Tage die zweite Auflage der Familienbiografie „Victoire“ auf den Markt. „Das war völlig unerwartet für uns, aber kein schlechter Coup. Die erste Auflage ist bereits vergriffen.“

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