Design „Leise Möbel“ - Industrie-Design aus Trier: Besuch bei Dietmar Joester

Trier · Dietmar Joester aus Trier ist Industrie-Designer. Einen Entwurf von ihm kennen Sie vielleicht? Und ihn?

 Tisch „Aiden“ für den Hersteller Bacher mit komplexer Unterkonstruktion.

Tisch „Aiden“ für den Hersteller Bacher mit komplexer Unterkonstruktion.

Foto: © studio_joester/Studio Joester

Seit vielen Jahren entwirft Dietmar Joester in Trier Möbel und funktionale Kleinteile für deutsche und auch internationale Hersteller. Für große und kleine. Er hat eine Homepage mit seinem Leistungsportfolio, die er selbst gestaltet hat, und die gespickt ist mit renommierten Namen seiner Kunden und Fotos seiner Arbeiten. Seinen Tisch „Salem“, hergestellt von der Firma Draenert, hat die Zeitschrift „Schöner Wohnen“ schon vor vielen Jahren zum Designklassiker erkoren. Beschrieben wird er als: „Fachwerk fürs Essen: Massive Mooreiche mit betont architektonischer Unterkonstruktion“.

Aber in seiner Heimatstadt nimmt niemand von ihm als Designer Notiz, hat man seinen Namen noch nicht gehört. Oder etwa doch? „Da bin ich nicht böse drum. Das ist mir nicht wichtig“, sagt der 58-Jährige spontan. Das Schicksal mehr oder weniger anonym zu sein, teilt er mit vielen seiner Kollegen. Dabei steckt hinter jeder Form ein Mensch, der sie entwickelt hat – ob beim Nobelhersteller oder bei Ikea.

 Ein Detail des Tisches „Aiden“.

Ein Detail des Tisches „Aiden“.

Foto: © Studio joester

Obwohl vor über 100 Jahren das Staatliche Bauhaus in Weimar gegründet wurde, die Wiege moderner Architektur, Kunst(-gewerbe) und Design, die in den nur 14 Jahren ihres Bestehens so viele Spuren hinterlassen hat, dass sie bis heute international nachwirken, bleibt das breite Interesse für diese Wegbereiter und ihre Nachfahren offenbar aus. Auch wenn es viele leidenschaftliche Design-Liebhaber, -Messen und -Foren gibt, – wie die Formen in unseren Alltag kommen, ist kein Thema für Stammtische. Selbst ein Ludwig Mies van der Rohe könnte heute unbemerkt eine Straße überqueren oder auch lebende Designer-Promis wie der Franzose Philippe Starck. Designer sind keine Popstars, obwohl ihre zukunftsweisenden Ideen vielleicht in unzähligen Haushalten zu finden sind, und die Lust auf schöne Einrichtung und perfektes Interieur so groß scheint, wie nie zuvor. Die Salz- und Pfefferstreuer „Max und Moritz“ des Bauhausschülers Wilhelm Wagenfeld sind zum Beispiel noch bei WMF im Programm. Bezahlbar. Zeitlos. Praktisch. Und wer besitzt nicht alles einen Stuhl, der ohne den „Eames Plastic Chair“ von Charles & Ray Eames, einen Klassiker, gar nicht in die Welt gefunden hätte? Populäres Design, das vielen gefällt.

Dietmar Joesters Entwürfe sind öffentlich, aber er bleibt gerne im Hintergrund, wirkt nicht eitel, lebt bescheiden, aber antwortet auf die Frage, ob er ein ehrgeiziger Designer sei, äußerst energisch: „Absolut!“ und unterstreicht das mit einem Kopfnicken. Materielles, also Möbel selbst zu besitzen, sei ihm nicht wichtig, das Entwerfen dagegen sehr. Das durchzieht sein Leben und seinen Tag, den er, wie vielleicht die meisten Selbständigen, nicht in Arbeit und freie Zeit unterteilt.

  Der Indus­trie-Desi  gner    Dietmar Joester lebt und arbeitet seit vielen    Jahren in Trier.

Der Indus­trie-Desi gner Dietmar Joester lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Trier.

Foto: Foto: © studio_joester

Er beobachtet die internationale Top-Designer-Szene mit den Italienern, den Dänen und den Deutschen, die auch ganz oben mitmischten. Für ihn gehört es dazu, sehr gut über das, was war, ist und kommt, informiert zu sein. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Die 1970er Jahre seien gerade populär. Aber für jemanden, der das aus der eigenen Kindheit kenne, sei das ganz schrecklich. „Da muss man als Designer schlucken“, sagt er.

Aber er muss es ja nicht mitmachen? Nein, so einfach ist es nicht. Er beobachte die Trends, frage sich „Was passiert da gerade?“ und auch, was er mitnehmen könne. „Man muss sich weiter entwickeln.“ Aber warum kommen die 1970er ausgerechnet jetzt zurück? „Vielleicht, weil es einfach jemand gemacht hat“, lautet seine Gegenfrage. Vor vielen Jahren sei reduziert und reduziert worden, bis es fast nichts mehr zu reduzieren gegeben habe.

 Tische „Kendo“ von Draenert.

Tische „Kendo“ von Draenert.

Foto: © Draenert GmbH

Dietmar Joester zeigt seine (Beistell-)Tischserie „Kendo“ für Draenert. „Das ist nichts““, sagt er vehement und meint damit natürlich die ästhetische Klarheit, die Reduktion auf das Notwendige. Aber gerade das wissen die Kunden offenbar zu schätzen. Die Serie sei schon 18 Jahre im Programm, die normale Verweildauer liege bei durchschnittlich sieben Jahren. Vielleicht müsse ein Möbelstück nicht ein Leben lang halten, aber der Trend zu „Fast Furniture“, ähnlich der „Fast-Fashion“, auch Möbel und Accessoires schnell auszutauschen, gefällt ihm nicht. Er bevorzugt „Silent Furniture“ und meint damit stilles, aber gutes Design im Gegensatz zu dem, das einen sofort „anschreit“, wenn man einen Laden betritt.

 AERA Claire 1.

AERA Claire 1.

Foto: © GARANT Marketing GmbH

Dietmar Joester erzählt, er habe vor vielen Jahren, einen Entwurf an Ikea gesandt. Er sei jung und vielleicht etwas naiv gewesen, weil es sehr schwer sei, in den Kreis der Ikea-Designer zu kommen. Aber, da fällt ihm ein! Er sei mit einem sogenannten „Deckelsteller“, einem Teil, das als Scharnier bei hochklappbaren Küchentüren verwendet wird, über einen großen Zulieferer, für den er diesen „Deckelsteller“ entworfen habe, jetzt doch bei Ikea vertreten und lacht.

Als sich der gebürtige Westfale nach seinem Studium der Innenarchitektur in Trier entschlossen hat, hier zu bleiben, sei klar gewesen, dass der Standort für seine Arbeit keine Rolle spielen durfte, weil es hier weit und breit keine Hersteller gibt. Der nächste gelegene, für den er arbeite, sei in Karlsruhe. Das bedeutet Netzwerken und Kontakte halten.

 Titus Group art Collection 2.

Titus Group art Collection 2.

Foto: Foto: © studio_joester

Dietmar Joesters Urgroßvater war Tischler, sei von Bauer zu Bauer gezogen und habe dort die Möbel gemacht. Sein Großvater habe eine Tischlerei gegründet, die sein Vater übernommen hat, aber nicht mehr existiert. Auch er selbst hat eine Möbeltischlerlehre „mit Auszeichnung“, wie er betont, absolviert. Trotzdem sei er zu Hause mit Design nicht in Berührung gekommen. Diese Welt sei ihm im Kontakt mit seinem Freund und Klassenkameraden Leo Lübke, heute Geschäftsführer des namhaften deutschen Möbelherstellers Cor, eröffnet worden. „Bei ihm daheim haben sich die Designer, wie Luigi Colani oder Peter Maly, die Klinke in die Hand gegeben“, erzählt er. „Wir sind heute noch gut befreundet.“ Er habe ein Dreivierteljahr bei Musterring gearbeitet und dort jemanden aus Wittlich kennengelernt, der ihm von Trier und der Hochschule erzählt habe. So sei er schließlich zum Studium an die Mosel gekommen.

An der Wand hängt die Zeichnung eines Tisches, der irgendwie bekannt erscheint, aber dann auch wieder nicht. Das sei einer von mehreren Entwürfen für einen großen Hersteller, dessen Namen er nicht nennen möchte. Dass die Form irgendwie vertraut erscheine, sei kein Wunder, sondern Absicht. „Die Leute kaufen das, was sie schon kennen. Es soll neu sein, aber nur knapp neben dem liegen, was es schon gibt.“ Darauf beruhe das Angebot vieler großer Händler. Als Gegenbeispiel zeigt Dietmar Joester seinen Tisch „Aiden“ für den Hersteller Bacher, der sich mit einer komplexen Unterkonstruktion an den ausgefallenen Geschmack und an eine andere Klientel richte.

  Tisch Tadeo 3 des   
  Herstellers Dra  enert.

Tisch Tadeo 3 des Herstellers Dra enert.

Foto: © DRAENERT GmbH

Zum Designerleben gehört offenbar ein hohes Maß an Psychologie und Menschenkenntnis. Wie dicht soll man am Bekannten bleiben? Wann tritt man auf der Stelle? „Es gibt keine Formel, wie weit ich mich entfernen darf“, sagt Joester. Designer seien über Lizenzen am Umsatz beteiligt. Das liefere vielleicht Rückschluss über den kommerziellen Erfolg – sei aber keine Rückversicherung für eine gelungene innovative Idee. Ausgerechnet das Kaufinteresse am gelobten, aber hochpreisigen Tisch „Salem“ sei vergleichsweise niedrig gewesen.

 Interluebke WK-Wohnen tune 5.

Interluebke WK-Wohnen tune 5.

Foto: © WK WOHNEN

Dietmar Joester erzählt, dass er auch gerne Psychologie studiert hätte. So schließt sich der Kreis zu seiner zweiten Leidenschaft. Und nicht zu vergessen: Seit er 20 Jahre alt ist, interessiere er sich für Zen-Meditation. Konzentration, Ruhe und Besinnung auf das Wesentliche. Dazu passt, dass er sich gerade eine aufwendige Technik mit seinem Partner im „studio_joester“-Team, dem Computer, selbst erarbeitet hat: Er biete seit neuestem an, Möbel so darzustellen, als wären sie von einem professionellen Fotografen in einer Kulisse abgelichtet worden.

Wir zeigen einige von Dietmar Joesters Arbeiten und ein Porträtfoto von ihm – sollte er Ihnen einmal auf der Straße in Trier begegnen.

 Tisch „Salem“ von Draenert.

Tisch „Salem“ von Draenert.

Foto: © studio_joester
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort