Konzerte Jenseits des schönen Scheins

Trier · Bach-Kantaten und Bach-Choralbearbeitungen präsentierten der Bariton Thomas E. Bauer und Pianist Kit Armstrong am Samstag den 300 Besuchern beim Mosel Musikfestival in der Trierer Barockkirche ­St. Paulin.

 Halten sich in der Paulinkirche in Trier eng an die Vorlage von Johann Sebastian Bach: Bariton Thomas Bauer (rechts) und Pianist Kit Armstrong.

Halten sich in der Paulinkirche in Trier eng an die Vorlage von Johann Sebastian Bach: Bariton Thomas Bauer (rechts) und Pianist Kit Armstrong.

Foto: Martin Möller

Wie beweglich, wie wohlartikuliert, wie gedankenreich kann Bachs Musik klingen! Bariton Thomas E. Bauer gibt der berühmten „Kreustabkantate“ eine Fülle von Feinheiten mit – von Klangfärbungen, von Text-Differenzierungen. Sein Bariton trägt perfekt in der mit 300 Besuchern vollbesetzten Trierer Paulinkirche. Koloraturen beißen sich nicht in sturem Legato fest, sondern klingen leicht und entspannt – so als würde ein Zeichner Linien abschließen und zu neuen Linien ansetzen. Und über allem liegt eine klingende Rhetorik, die in dieser Musik etwas Existenzielles vermittelt.

In der Moderne, in der Tod, Leid und Trauer auf bestimmte, sorgfältig eingegrenzte Bezirke beschränkt bleiben, geben Bachs Komposition und ihre Texte reichlich Anlass zur Besinnung. Bei Bach legt Musik ihren schönen Schein ab. Sie will die Menschen erschüttern, nachdenklich machen und auf den Weg führen, den man als rechten Weg empfand – zumindest damals, vor fast 300 Jahren. Noch deutlicher geschieht das in der zweiten Solokantate dieses Abends, „Ich habe genung“. Die biblische Erzählung vom frommen Simeon, der sterben darf, nachdem er den Heiland gesehen hat, wird bei Bach und seinem Textdichter umgedeutet zum Appell an jeden einzelnen Christen: Bedenke dein Ende! Da legt Thomas Bauer noch mehr als bisher Energie und Hingabe in seinen Gesang. Gelegentlich streift sein Piano das sängerisch überhaupt Realisierbare. Und die letzte Arie „Ich freue mich auf meinen Tod“ strahlt bei ihm eine Zuversicht aus, die den Rang einer religiösen Botschaft erreicht.

Für Kit Armstrong, den jungen, brillanten Pianisten, ist der Instrumentalpart eine hohe Hürde. Gerade weil sich seine Arrangements der Bach-Kantaten und auch diverser Choralvorspiele eng an die Vorlage halten, verliert diese Musik auf dem Klavier ihre Eindringlichkeit. Der Beginn der „Kreuzstabkantate“ mit seiner anschaulichen Rhetorik kommt über neutralen Wohlklang nicht hinaus. Die Cello-Begleitfiguren im ersten Rezitativ werden auf dem Klavier monoton.  Der vollstimmige Begleitsatz zur Arie „Ich freue mich“ (aus „Ich habe genung“)  gerät auf dem Klavier allzu massiv. Und muss der Osterjubel im Orgelchoral „Christ lag in Todesbanden“ (aus dem „Orgelbüchlein“) wirklich so neoromantisch, so gepflegt-lyrisch klingen?

Das freilich ist nur ein Aspekt. Denn Armstrong distanziert sich auch von aller Repetitoren-Routine. immer wieder besticht sein nuanciertes Musizieren.  Immer wieder sind seine Arrangements geprägt von Respekt gegenüber Komposition und Komponisten. Und abgesehen von ganz kleinen Diskrepanzen zu Beginn – Armstrong fühlt sich als Begleiter sensibel ein in Thomas E. Bauers flexiblen, wortbezogenen Gesang. Vielleicht gehört es zu großer Musik. aber jedenfalls zu Bach, dass Bearbeitung und Interpretation zwangsläufig Lücken lassen.  Dass sie die Komposition in ihrer Größe nicht vollständig erfassen und umfassen können. Dann hätten die Komponisten die Aufgabe, Bachs Werk weiterzudenken in Gegenwart und Zukunft. Vielleicht fehlte der Veranstaltung darum nur der kompositorische Mut.

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