Coming-out „Sich verstecken zu müssen, macht krank“ - Johannes Kram im Interview

Berlin/Trier · Er ist einer der profiliertesten Kämpfer für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Queeren und Transsexuellen in Deutschland. Das Outing von 185 Schauspielern im Magazin der Süddeutschen Zeitung ist für Johannes Kram aus Trier ein „historischer Meilenstein“.

 Johannes Kram. Foto: Ulrich Hub

Johannes Kram. Foto: Ulrich Hub

Foto: Ulrich Hub

185 Schauspieler*innen haben sich im Magazin der Süddeutschen Zeitung, das gestern erschienen ist, als „lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und trans*“ geoutet. Hierfür steht die Abkürzung LGBTI aus dem Englischen (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender). TV-Redakteur Alexander Schumitz hat darüber mit dem Nollendorf-Blogger Johannes Kram, der in Trier geboren wurde,  gesprochen.

Was halten Sie von der Aktion?

Es ist großartig und ein historischer Meilenstein für die deutsche LGBTI-Bewegung. Auf so etwas haben ganz viele ganz lange gewartet. Außerdem ist es absolut bewundernswert, dass es gelungen ist, so viele unterschiedliche Menschen auf eine Aktion, ein Statement und einen Termin zu vereinen.

Glauben Sie, dass dieses Massen-Coming-Out dazu beiträgt, dass sich LGBTI-Menschen in der Kulturszene künftig deshalb häufiger outen?

Auf jeden Fall. Die Aufmerksamkeit und das damit verbundene kritische beäugt-werden ist jetzt auf viele Schultern verteilt. Außerdem wird es ab sofort für alle Caster, Agenten und Redakteure schwer, queere Menschen daran zu hindern, in Film und Fernsehen auch heterosexuelle Hauptfiguren zu verkörpern. Das Argument „Euch nimmt man das nicht ab“ oder „Das Publikum kommt damit nicht klar“ zieht jetzt nicht mehr.

Hape Kerkeling, Alfred Biolek und Hella von Sinnen hatten ihr Coming out vor etwa 25/30 Jahren. Warum fällt es LBGTI-Menschen in der Branche trotzdem so schwer, sich zu outen?

Man muss sich mal bewusst machen, in welcher verflixten Situation sich LGBTI in der Öffentlichkeit oft befinden. Einerseits wird von ihnen erwartet dass sie ihre sexuelle Identität nicht so sehr thematisieren, weil die Heteros das ja angeblich auch nicht tun; dabei berichten Heteros dauernd über ihr heterosexuelles Leben, ohne sich dabei irgendetwas denken zu müssen. Andererseits wird von queeren Menschen permanent unbewusst erwartet, dass sie sich in eine angebliche Normalität einzufügen, die davon ausgeht, dass alle Menschen hetero sind. Es wird also von ihnen verlangt, etwas zu sein, was sie nicht sind. Wie sie es machen, machen sie es also in den Augen der Öffentlichkeit falsch. Deswegen fahren viele lieber unter dem Radar, und das gilt ja nicht nur für Prominente: In Deutschland sind nur ein Drittel out im Job.

Was muss sich in der Gesellschaft ändern, dass LGBTI-Menschen sich trauen, die Fassade eines heterosexuellen Lebens abzulegen?

Es fängt im Kleinen an. Mir wurde kürzlich eine Geschichte aus Trier berichtet, in der die Eltern von Jugendlichen alarmiert waren, weil sie herausgefunden hatten, dass der Sporttrainer ihrer Kinder homosexuell ist. Ist doch kein Wunder, dass man dann aufpasst, wem man was anvertraut. Jeder hält sich heute für liberal und aufgeschlossen, doch die Ressentiments sitzen tief, und jeder sollte so ehrlich sein, das zuzugeben. Damit sich etwas ändert, muss beispielsweise schon im Schulunterricht damit begonnen werden, alle Formen sexueller Vielfalt gleichwertig zu thematisieren und zwar ohne, dass das dann als „Frühsexualisierung“ diffamiert wird.

Was es macht es mit einem LGBTI-Menschen, der ein normales – was immer das ist – Leben vorgaukeln muss, weil er sonst Angst um seine Karriere hat?

Studien zeigen: Sich verstecken zu müssen, macht krank. Es zehrt am Selbstbewusstsein, macht unsicher und vermindert dadurch die Chancen im Job. Das ist übrigens nicht nur eine Katastrophe für das Lebensglück vieler LGBTI-Menschen, sondern auch für unsere Wirtschaft, die eigentlich ein Interesse daran haben müsste, dass sich Menschen frei entfalten können, um in der Lage zu sein, ihr bestes zu geben.

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