UNTERM STRICH – DIE KULTURWOCHE Musik kann auch an Wänden hängen

Wie klingt ein Rembrandt? Wie ein Picasso? Irgendwann werden wir es vielleicht hören können. Verrückt? Nicht unbedingt. Immerhin wissen wir bereits, welche Töne ein Gemälde von Wassily Kandinsky von sich gibt, wenn man es denn dazu auffordert.

   Welche Klänge Wassily Kandinsky gehört hat, als er das Bild „Composition IV“ (1911) malte, wissen wir nicht. Aber als Synästhetiker verband er Farben mit Klängen und umgekehrt.

Welche Klänge Wassily Kandinsky gehört hat, als er das Bild „Composition IV“ (1911) malte, wissen wir nicht. Aber als Synästhetiker verband er Farben mit Klängen und umgekehrt.

Foto: dpa/Roland Weihrauch

Eine neue Google-Anwendung mit dem Titel „Play a Kandinsky“ erstellt mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) anhand von Gemälden Musik. Mit Kandinsky anzufangen liegt nahe, denn der russische Künstler (1866 – 1944) war ein Synästhetiker. So nennt man jene Zeitgenossen, bei denen die Grenzen zwischen akustischer und visueller Wahrnehmung aufgehoben sind: Kandinsky konnte Farben „hören“ und Musik „sehen“ (womit nicht die Partituren gemeint sind, die man in der Tat anschauen kann – wobei sie sich freilich für die meisten Menschen nicht beim Anschauen beziehungsweise Lesen automatisch in Klänge verwandeln). „Künstliche Intelligenz analysiert gewaltige Datenmengen und erkennt so Dinge, die ein Mensch oft nicht wahrnehmen kann“, erläutert der Digitalisierungsexperte Tim Niesen. „Auch auf dem Gebiet der Kunst ist der Einsatz vorstellbar. Sowohl im visuellen als auch im auditiven Bereich kann ein Algorithmus Strukturen und Muster finden und so erfahren, was die Werke von Künstlern einzigartig macht.“ Auf seiner Homepage stellt Niesen, der unter anderem am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken tätig war, sich als „Experte für die Themen Digitale Transformation und Künstliche Intelligenz“ vor. „Play a Kandinsky“ ist in Zusammenarbeit zwischen Google und dem Pariser Centre Pompidou entstanden. Anwender können dadurch zum Beispiel mit dem Kandinsky-Gemälde „Gelb-Rot-Blau“ von 1925 interagieren und anhand von Klicks auf die Farben ihre eigene Musik gestalten. Darüber hinaus erklärt die Anwendung, wie ein Synästhetiker Musik und Farben wahrnimmt. Die KI hat sowohl die Werke von Kandinsky als auch die Musik aus seiner Schaffenszeit „kennengelernt“. Dazu weiß der Algorithmus, welche Klänge, Instrumente und Emotionen der russische Meister mit bestimmten Farben in Verbindung brachte. Wem das jetzt zu abstrakt klingt, der switche einfach zu Youtube und gebe „Kandinsky Artplay“ ein. Da fangen sofort ein paar Bilder an zu klingen.

„Das habt ihr nun davon“, könnten schadenfrohe Menschen frohlocken, wenn es nicht so deprimierend wäre: Der Brexit, dieses sinnloseste Unterfangen zu Beginn dieses Jahres (und vermutlich auch noch der kommenden Dekaden) hat ein weiteres Opfer gefordert: Das Londoner National Theatre hat geplante Tourneen in Europa wegen der Brexit-Hürden vorerst aufgeschoben. „Wir sind wegen des Brexits aktuell nicht in der Lage, unsere geplanten Tourneen in Europa zu bestätigen“, sagte eine Sprecherin des Theaters der BBC. Wegen hoher Visa-Gebühren und fehlender Klarheit über manche Bestimmungen könne man sich das Touren in EU-Ländern derzeit nicht leisten. Seit dem 1. Januar, mit dem Ende der Brexit-Übergangsphase, benötigen Musiker und Künstler Visa und andere Dokumente für Auftritte in der EU beziehungsweise in Großbritannien. London und Brüssel machen sich gegenseitig für die Situation verantwortlich. Musiker und Schauspieler, darunter Elton John, Ed Sheeran, „Gandalf“-Darsteller Ian McKellen und Julie Walters („Harry Potter“), hatten der Regierung in offenen Briefen ein Versagen bei den Verhandlungen mit der EU vorgeworfen. Kulturstaatssekretärin Caroline Dinenage räumte ein, es gebe „viele Hürden zu überwinden“. Weitere Verhandlungen zwischen London und Brüssel haben das Ziel, entsprechende Regeln zu erarbeiten und den kulturellen Austausch weiter zu ermöglichen. Das könnte vielleicht klappen – wenn Boris Johnson seine Finger da raus hält. Aber mit Kultur hat der blondierte Wirrkopf nach allem, was man so weiß, ohnehin nicht viel am Hut.
no/dpa

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