Klänge Die Welt des Klangs entdecken

Trier · Schlachthof, Darkroom, Alltagsgeräusche: Auf dem Opening Festival 21 in Trier können Besucher an verschiedenen Orten packende Klang-Installationen erleben – und sich dabei auch selbst wahrnehmen.

 Mit Marx in der Badewanne – das erlebt man in der Installation von Nicola Leonhard Hein (links). Rechts ist ein Ausschnitt aus Danbi Jeungs Installation zu Arthur Schopenhauers Parabel „Die Stachelschweine“ zu sehen.

Mit Marx in der Badewanne – das erlebt man in der Installation von Nicola Leonhard Hein (links). Rechts ist ein Ausschnitt aus Danbi Jeungs Installation zu Arthur Schopenhauers Parabel „Die Stachelschweine“ zu sehen.

Foto: Eva-Maria Reuther

Hart schlägt das Beil auf, dann wieder und wieder. Es ist der Takt des Todes. Dazwischen quiekt ein Schwein in Todesangst. Die Schlächter sind zurückgekommen an ihren einstigen Ort. Der Turm des einstigen Trierer Schlachthofs, der heute die Europäische Kunstakademie beherbergt, ist zur Todeszelle geworden.

Keine Sorge: nicht wirklich, sondern mittels der Klangkunst. Kaum erträglich ist die Klanginstallation des Kolumbianers Juan Bermudez und seines deutschen Partners Stefan Fricke in der beklemmenden Unmittelbarkeit des engen Turms. Und doch ist sie ungeheuer fesselnd. Die klangkünstlerische Erinnerungsarbeit ist eine der eindrucksvollsten Beiträge der Ausstellung „Klanglinie“, die derzeit in Trier im Rahmen von Opening 21, dem Internationalen Festival für aktuelle Klangkunst zu erleben ist. Durch die Stadt gelegt wurde die Linie aus Klängen durch Studenten und Alumni der Klasse Klangkunst-Komposition der Hochschule für Musik in Mainz. Betreut wurde das Projekt von den beiden Professoren Peter Kiefer und Stefan Fricke sowie von Andrea Bossard.

Der Klang ist bekanntlich so etwas wie ein systematisches Schall­ereignis im Unterschied zum Chaos des Geräuschs. An sieben Standorten vermitteln die Arbeiten der Künstler eindrücklich, wie beredt, vielfarbig und ergreifend der Klang ist. Wie plastisch er Vorstellungswelten schafft und wie er in uns zum Echo des eigenen geistigen und seelischen Wissens wird. Erfahrbar wird zudem, wie Welt und Wirklichkeit im Klang codiert werden können. Unterwegs auf der „Klanglinie“ sind die Eindrücke vielfältig. Viel elektronisches Wissen und technisches Know-how liegt den Arbeiten zugrunde. Einige Künstler nutzen als Mixed Media zudem visuelle Medien wie Video oder plastische Elemente. All das ist schlüssig. Wirklich packend ist allerdings, was sich als sinnliche Wahrnehmung im Klang mitteilt, den Zuhörer teilhaben lässt, so dass sich innerer und äußerer Klang symbiotisch verbinden.

Großartig gelungen ist das nicht nur im Turm oben, sondern auch in der Installation „IntraSound“ von Meike Borchers. Im ersten Obergeschoss der Tufa hat sie einen Dark­room der Selbsterfahrung geschaffen. Verhängt mit schwarzen Tüchern hat sich der Saal in einen dunklen Klangraum verwandelt. In dem sich Chorgesang (die Codierung eines Gesprächs) mit anderen Klängen mischt. Das spärliche Licht und der Gesang verleihen dem Raum etwas Geheimnisvolles, machen den Besucher zum Sucher. Unerwartet scharf nimmt man sich plötzlich in der tönenden Dunkelheit wahr, spürt die eigene Verunsicherung und die übermächtige Gewalt des Klanges. Ein Stockwerk höher wird Klang zum Protest. Ein ganzes Geräusch-Ensemble demonstriert in der Installation von Kam Seng Aung symbolisch gegen das politische System in Miramar. Nicht weit davon im Karl-Marx-Haus leistet Juan Bermudez einmal mehr Erinnerungsarbeit. Diesmal weit weniger geräuschvoll als oben im Schlachthof, aber nicht weniger eindringlich. Aus einem Behälter an der Wand fallen Kaffeebohnen wie der verrinnende Inhalt einer Sanduhr mit leisem Klirren zu Boden. Sie erinnern an die zahllosen unauffindbaren Menschen Kolumbiens, mögliche Opfer von Milizen und Drogenkartellen. „Weil sie nicht Kaffee pflückten“ (sind sie nicht zu verorten) so der titelgebende zynische Kommentar eines kolumbianischen Offiziellen.

Weit lustiger mit Gruß an Dada geht es im selben Saal in der interaktiven Badewanne von Nicola Leonhard Hein zu. Steigt man hin­ein, um sich mittels der Klanginstrumente am „Sokratischen Versuch über politische Kontingenz“ zu beteiligen, fliegen einem ganz schnell Marx’ Schriften um die Ohren. Nicht alle Arbeiten beziehen den Ausstellungsort ein. Unterwegs in die eigene Geschichte ist Wingel Mendoza mit seiner interaktiven Mixed Media Installation „4 Pedro Paramos“ im Kunstraum KM9. Im Projekt daneben können Besucher ihr eigenes Klangfarben-Konzert komponieren (auch Mendoza). Gleich sieben Arbeiten sind in der Galerie Netzwerk zu erleben. Einen ebenso poetischen wie hochaktuellen Beitrag präsentiert dort Danbi Jeung. In der Video- und Klanginstallation der Koreanerin gleichen die Anhänger von Internet-Memen, Influencern und anderen Heilsbringern eifrigen dienstfertigen Ameisen. Der Raum selbst wird zum klanglichen wie visuellen Echoraum in der Arbeit von Christopher Dahm „Echos III“ im Museum am Dom.

 2. (Kreuzgang Simeonstift)  Stacheliges , Ausschnitt aus Danbi Jeungs Installation zu Arthur Schopenhauers Parabel „Die Stachelschweine“   Alle Fotos: Eva-Maria Reuther

2. (Kreuzgang Simeonstift) Stacheliges , Ausschnitt aus Danbi Jeungs Installation zu Arthur Schopenhauers Parabel „Die Stachelschweine“ Alle Fotos: Eva-Maria Reuther

Foto: Eva-Maria Reuther

Ausgesprochen witzig setzt sich Danbi Jeung im Simeonstift mit dem bekömmlichen Verhältnis von Nähe anhand von Arthur Schopenhauers Parabel „Die Stachelschweine“ auseinander. Zum großen Zusammenklang vereint Juan Bermudez die Klänge der „Klanglinie“ im Simeonstift und verwandelt dabei den ebenerdigen Gang in eine Kathedrale, in der sich sakral anmutende Klänge mit Alltagsgeräuschen mischen.

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