Geschichte „Der Westwall ist Täterort und Opferort zugleich“

Trier/Gondenbrett · Regionaler Geschichtsforscher kritisiert Umgang mit NS-Erbe. Friedensforscherin stellt vor, wie Gedenkstättenarbeit aussehen könnte.

 Höckerlinien am Westwall in der Nähe von Simmerath.

Höckerlinien am Westwall in der Nähe von Simmerath.

Foto: dpa/A3508 Rolf Vennenbernd, dpa (dpa)

Hanns-Georg Salm aus Gondenbrett setzt sich seit seiner Pensionierung mit der regionalen Geschichte auseinander. Immer wieder hat er dazu publiziert, sich aber auch für den Erhalt der Anlagen am Westwall eingesetzt – schon zu einer Zeit, in der das nationalsozialistische Erbe zerstört wurde. „Als ich nach meiner Pensionierung ganz in die Eifel zog, hörte ich den ganzen Tag über ein seltsames Tuckern. Mir wurde dieses aufdringliche Geräusch zu bunt, und ich fuhr ihm nach. Da stand oben in der Schneifel ein schwerer Bagger vor einer der Bunkerruinen und zerhackte die schauerlichen Bunkerreste zu kleinen Teilchen. Er atomisierte sie förmlich“, sagt Salm. So sei es vielen Bunkern ergangen. Seine Interventionen blieben ohne Erfolg.

Erst als er Strafanzeige wegen „mutwilliger Zerstörung ungeschützten Kulturguts“ stellte, endeten die Abbrucharbeiten an den militärischen Hinterlassenschaften der Nazis. In der Folge wurden „für teures Geld Bunkeranlagen eingezäunt“. Über die „jüngste Geschichte“ werde nicht gesprochen, stattdessen darüber, dass die Ruinen „Refugien für seltene Tiere“ seien. Ironisch kommentiert Salm: „Ich wusste gar nicht, dass der Westwall zum Erhalt seltener, schützenswerter Tiere errichtet wurde!“

Was Salm frustriert ist, dass das Thema „Erhalt des Westwalls“ nicht mal von regionalen Geschichtslehrern aufgegriffen wird. Das interessiere alles niemanden mehr. Mit 84 Jahren hat er beschlossen, dass er seine Unterlagen über seinen Kampf für den Erhalt des Westwalls schreddern wird.

Dieser Frust wird verständlich, wenn man in die Studie „Der Westwall als friedenspädagogischer Lernort. Eine Anregung“ von Jana Hornberger schaut. Die Friedensforscherin an der Evangelischen Akademie der Pfalz, arbeitet heraus, dass Gedenkarbeit am Westwall komplexer sei als an traditionellen NS-Gedenkstätten. „Der Westwall ist Täterort und Opferort zugleich.“ Viele Themen überlagerten sich zudem.

Hornberger schlägt etliche Punkte vor, mit denen der Westwall sich in einen friedenspädagogischen Lernort umwandeln ließe. Sie fordert das Schaffen einer handlungsfähigen Steuerungsinstanz und ruft dazu auf, zivilgesellschaftliche Akteure in die Gedenkstättenarbeit miteinzubeziehen. Wichtig sei auch, bundesländer- und grenzüberschreitend zu kooperieren. Hornberger schlägt vor, eine gemeinsame Dachmarke zu schaffen, unter der sich die verschiedenen Aktivitäten bündeln lassen. Sie betont, dass die historischen Zusammenhänge der einzelnen Elemente miteinander zwingend klärungsbedürftig seien, um Themen wie die NS-Infrastrukturpolitik, die Zwangsarbeit oder den Vernichtungskrieg zu bearbeiten.

Zudem müsse die pädagogische Kompetenz gestärkt werden. „Brauchbares didaktisches Material zum Westwall ist Mangelware“, sagt Hornberger. Eine der pädagogischen Herausforderungen des Westwalls sei dessen „überwältigende Materialität“. Gerade gehöre die Orientierung an Frieden, Freiheit und Menschenrechten bei dieser Arbeit dazu. Das Denkmal biete auch die Chance, sich mit unbequemen Fragen zur „deutschen Täterschaft“ auseinanderzusetzen sowie Gegenwartsbezüge herzustellen, um zu demonstrieren, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bis heute ist.

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