Trotz „Schindlers Liste“ wurde Emaille-Fabrik in Brünnlitz vergessen Saarbrücker Studenten wollen Schindlers Fabrik retten

Brünnlitz/Saarbrücken · Ein Film setzte Oskar Schindler ein Denkmal, seine Fabrik in Brünnlitz, in der 1200 Juden überlebten, ist es auch. Aber sie ist heute eine Ruine. Mit Ideen junger Leute aus Saarbrücken könnte sie gerettet werden.

 Oskar Schindlers Fabrik im ehemals böhmischen Brünnlitz, die für rund 1200 Juden zur Arche wurde, ist heute Industriekultur. Sie wartet auf eine neue Bestimmung als Erinnerungsort. Im Oktober findet dazu ein Workshop statt, an dem auch Saarbrücker HTW-Studenten teilnehmen.

Oskar Schindlers Fabrik im ehemals böhmischen Brünnlitz, die für rund 1200 Juden zur Arche wurde, ist heute Industriekultur. Sie wartet auf eine neue Bestimmung als Erinnerungsort. Im Oktober findet dazu ein Workshop statt, an dem auch Saarbrücker HTW-Studenten teilnehmen.

Foto: picture alliance/ASSOCIATED PRESS/AP Content

 Schindlers Fabrik? Die Google-Navigation führt direkt nach Krakau. Dort steht in der Lipowa Straße 4 die frühere Emaille- und Munitionsfabrik eines nationalsozialistischen Kriegsgewinnlers, der reich und skrupellos – und zutiefst menschlich war. Der Film „Schindlers Liste“ setzte ihm ein Denkmal. Die Direktverknüpfung Krakau-Schindler könnte sich ändern. Denn es existieren zwei Orte, die sich mit einer der spektakulärsten Rettungs-Geschichten jüdischer Menschen im Zweiten Weltkrieg verknüpfen lassen und mit dem deutschen Industriellen Oskar Schindler (1908-1974), seit 1993 ein weltberühmter Film-Held.

Tausende jüdische Ghetto-Arbeiter, die zunächst in Krakau, eben in der Lipowa Straße 4, für ihn zwangsweise arbeiten mussten, hat er über Jahre gegenüber der SS beschützt und schließlich gegen den Abtransport in Vernichtungslager wie zum Beispiel Auschwitz gerettet – auf eine „Arche“. Die stand im damals böhmischen Brünnlitz (Brnenec). Dort hatte Schindler 1944 eine zweite Fabrik erstanden, um „seine“ Juden, die er später seine „Kinder“ nannte, dorthin zu evakuieren. Bis zur Befreiung.

Doch während im polnischen Krakau in der ehemaligen Schindler-Fabrik ein offensichtlich stark auf touristischen Geschmack gebürstetes Museum entstand, kümmerte sich in Tschechien niemand um das KZ-Außenlager Brünnlitz. Vielmehr wurden die Gebäude bis 1993 noch industriell genutzt, dann verfiel das Areal. Die Häuser und Hallen sind, wie Fotos zeigen, in einem ruinösen Zustand. Immerhin erkannte man 2016 die Denkmal- und Kulturerbe-Qualität von Schindlers Brünnlitzer Fabrik. Seitdem denkt man in Tschechien über eine Transformation nach – zum Erinnerungs- und Begegnungsort.

Das wollen die Nachkommen der früheren Besitzer-Familie Löw-Beer so, deren Brünnlitzer Textilfabrik Oskar Schindler 1944 für seine Juden kaufte, auch die Shoah Foundation, die Stadt Brnenec – und 36 Architekturstudenten von sechs europäischen Hochschulen, darunter die Saarbrücker HTW. Seit 2006 existiert ein Netzwerk, dem auch die Technische Universität (TU) in Brünn angehört. Reihum organisieren die Hochschulen Workshops, bei denen es um Ideen für Industriekulturelle Orte ihrer Heimat geht. Mitinitiator im Saarland ist der emeritierte Saarbrücker HTW-Professor Klaus Köehler. Und diesmal geht’s zwischen dem 8. und 16. Oktober nun also nach Brnenec (Brünnlitz).

„Architektonisch ist das Areal nicht wirklich herausragend“, meint Köehler, der den Workshop zusammen mit seinem Kollegen Professor Jens Metz (Architektur, Bauingenieurwesen) vorbereitet. Umso aufregender empfinden beide die Aufgabenstellung: „Wie lässt sich eine dunkle, schwierige Zeit architektonisch übersetzen?“ Der Workshop ist nicht als Wettbewerb angelegt, am Ende sollen sechs verschiedene Ansätze stehen, die für alle, die das Projekt „Schindler Memorial Site“ voranbringen wollen, Denkanstöße bringen. „Wir werden keine museale Ausstellung entwerfen, sondern denken über Gesamtkonzepte einer Umnutzung nach“, sagt Metz. Die früheren Eigentümer hielten unter anderem viel davon, wieder Textil-Produktion an den Ort zu bringen.

Alles, was die beiden Saarbrücker Professoren bisher über Schindlers Fabrik wissen, haben sie aus zweiter Hand, meist aus dem Internet. Vor Ort kommen sie erst mit ihren sechs Studenten im Oktober. „Wir mussten losen, wir konnten uns kaum retten vor dem Andrang“, sagt Metz. Das Thema, das sich mit einem derart bekannten Film und einer immer wieder aufwühlenden authentischen Story verknüpfen lasse, wirke wohl elektrisierend, meint Köehler.

Er hat den Kick selbst erlebt, als die tschechischen Kollegen der TU Brünn über die Wiederbelebungs-Initiative der „Löw-Beer Schindler’s Ark Foundation“ berichteten. Für ihn war klar, dass sich über den Film-Namen immense Aufmerksamkeit würde erzeugen lassen – sogar im Auswärtigen Amt. Köehler stellte einen Co-Finanzierungs-Antrag für den Workshop und bekam eine Zusage.

„Je mehr Unterstützung wir haben, umso mehr Sichtbarkeit können wir für diesen besonderen Industriekulturellen Ort erzeugen“, sagt er. Wobei der Sinn nicht darin bestehe, dass eines der im Workshop erarbeiteten Konzepte eins zu eins umgesetzt würde. „Wir wollen Ideen frei verfügbar machen für die Akteure vor Ort“, so Metz. Hinzu komme: „Wir schubsen unsere Studenten in die Realität.“ Beide haben Vermutungen, warum dieser Original-Schauplatz des Holocaust nicht schon längst entwickelt ist. Die Figur Schindler mache es den Tschechen schwer, meint Köehler, die mit „Sudetendeutschen“ wie Schindler einer war, kaum Identitätsstiftendes verbinden könnten. Für sie sei er der „Deutsche“ geblieben – und dann auch noch ein guter?

Er war einer, der Großes bewirkte, in Krakau und in Brünnlitz. Letzeres Städtchen, das heute ähnlich viel Einwohner hat wie Schindler einst Juden rettete, hat noch keinen Eintrag auf der welthistorischen Landkarte. Dabei steht Brünnlitz für eine „universelle“ Geschichte – „how an individual can stand up to discrimination” – wie ein Individuum gegen Diskriminierung aufstehen kann, so steht es auf der Homepage der „Schindler’s Ark Foundation“. Zu schaffen wäre ein Gedenkort für das Überleben durch Menschlichkeit in grausamer Zeit. Auf die jungen Leute aus Saarbrücken wartet eine große Aufgabe.

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