Gesellschaft Jugend – im Griff der Pandemie

Waldemar Vogelgesang hat als Soziologe an der Universität Trier gearbeitet. Seine Arbeitsschwerpunkte lagen im Bereich der Jugend-, Medien- und Bildungssoziologie sowie der Kultur- und Lebensstilforschung. Für den Trierischen Volksfreund hat er untersucht, wie Jugendliche mit der Corona-Pandemie umgehen. Und welche Erwartungen diese Generation an die Gesellschaft hat.

 21.12.2020, Österreich, Wien: Zwei Personen gehen über einen auf den Boden angebrachten Wegweiser zu der Corona-Teststation im Wiener Konferenzzentrum Austria Center. Foto: Herbert Neubauer/APA/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Foto: dpa/Herbert Neubauer

Seit fast einem Jahr hat die Corona-Pandemie die Gesellschaft – und zwar in all ihren Bereichen und Altersgruppen – fest im Griff. Wie sehr sie das soziale Leben verändert hat und noch verändern wird, ist zu einem Dauerthema in einer hochemotionalen, angstbesetzten und letztlich völlig unübersichtlichen öffentlichen Diskussion und Berichterstattung mit teils diametral widersprechenden Einschätzungen der Situation geworden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Wissenslücken und Ambivalenzen aufgedeckt, alte Annahmen infrage gestellt oder neue, noch ungeprüfte formuliert werden. Doch trotz aller Ungewissheit scheint eines klar: Schenkt man den Medienberichten Glauben, dann ist die Generation der Alten die heutige Risikogruppe, die Generation der Jungen jene der Zukunft.

Generation Corona oder „lost generation“?

Auch wenn der Begriff der Jugendgeneration unterschiedlich definiert werden kann, so wird in der Sozialforschung damit eine auf bestimmte Geburtsjahrgänge bezogene Alterskohorte bezeichnet, die in ihrer Entwicklungsphase durch besondere und tiefgreifende Ereignisse beeinflusst und geprägt wird. Man teilt ein vergleichbares, einschneidendes Lebensschicksal. Die Covid-19-Pandemie ist so ein Ereignis. Denn dass Kinder und Jugendliche unter deren Folgen und Einschränkungen in erheblichem Ausmaß zu leiden haben, ist offensichtlich. Ob Kita, Schule, Sport, Freundeskreis, Freizeitveranstaltungen, Abiturfeiern, Auslandsaufenthalte, Familienbesuche – die Liste die Restriktionen ließe sich weiter verlängern –, die einschränkenden Nebenfolgen umfassen die gesamte Lebensführung und Zukunftsplanung. Auch wenn der Begriff „Coronageneration“ pauschalisierend ist, er verweist auf eine Form der fremdbestimmten und einschränkenden Welterfahrung, die es so für Heranwachsende seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Aber mündet diese Erfahrung zwangsläufig in einer „lost generation“, einer Verlierergeneration, deren Lebens- und Zukunftsperspektive sich zwangsläufig verengt hat und deren Corona-Frust sich im Regelbruch niederschlägt?

Jenseits von Stereotypisierungen: Wie gehen Jugendliche mit der Corona-Krise tatsächlich um?

Auch wenn die Jugendforschung nach einer kurzen Schockstarre Mitte des vergangenen Jahres ihre Klientel etwas aus den Augen verloren hatte, wendet sie sie sich jetzt wieder mit viel Energie dem Thema zu und fragt, wie das Virus beziehungsweise der Umgang mit ihm das Leben der jungen Menschen verändert hat. Besonders zu verweisen ist hier auf die repräsentative Studie „Junge Deutsche 2021“ von Klaus Hurrelmann, die sich auch mit den Folgen der Corona-Pandemie befasst. Als wichtigstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass das Bild der feierwütigen Jugend, die AHA-Regeln ignoriert und keine Rücksicht auf Risikogruppen nimmt, falsch ist. So gaben zwei Drittel der Befragten an, auf Partys zu verzichten, weil sie Freunde und Familie nicht gefährden wollen. Das Tragen einer Maske sowie die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln wurden von 73 Prozent befürwortet. Zudem wurde ein Ergebnis bestätigt, das schon in früheren Studien nachgewiesen wurde: In ihren sozialen Einstellungen haben Solidarität und Familienorientierung einen außerordentlich hohen Stellenwert.

Die Corona-Krise als Brennglas der Bildungsungleichheit

Die Corona-Pandemie hat den Bildungsbereich vor nie dagewesene Herausforderungen gestellt, wobei ein abschließendes Urteil über die Effizienz der getroffenen Maßnahmen derzeit viel zu früh ist. Aber eines lässt sich jetzt schon sicher feststellen: Bereits wenige Wochen nach dem ersten Lockdown wurde deutlich, dass durch Homeschooling vorhandene Bildungsprobleme verschärft werden. Dabei wird mitunter übersehen, dass diese nicht per se Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind. Vielmehr kommen zwei seit Langem bekannte Defizite des deutschen Bildungssystems zusammen: Der enge Zusammenhang zwischen der Herkunft der Kinder und ihrem schulischen Erfolg sowie die unzureichende digitale Infrastruktur. Und die Corona-Krise legt offen, wie Hurrelmann in seiner Studie herausstellt, dass es überwiegend junge Männer aus bildungsfernen Elternhäusern sind, die weniger Verantwortungsbewusstsein zeigen und die Corona-Regeln kaum einhalten. Es sind die männlichen Bildungsverlierer, die immerhin rund ein Viertel ihrer Altersgruppe ausmachen, die ihren Corona-Frust durch gezielte Provokationen und Regelmissachtungen zum Ausdruck bringen.

Krisensolidarität und die Hoffnung auf Generationengerechtigkeit

 Covid-19 verlangt der jungen Generation viel ab (oben rechts, gegen den Uhrzeigersinn): Auslandsaufenthalte nach dem Abitur und während des Studiums sind schwierig und Partys mit Freunden werden von der Polizei aufgelöst. Der Soziologe Waldemar Vogelgesang glaubt, dass die ältere Generation den Klimaaktivisten rund um Greta Thunberg entgegenkommen müsse.

Covid-19 verlangt der jungen Generation viel ab (oben rechts, gegen den Uhrzeigersinn): Auslandsaufenthalte nach dem Abitur und während des Studiums sind schwierig und Partys mit Freunden werden von der Polizei aufgelöst. Der Soziologe Waldemar Vogelgesang glaubt, dass die ältere Generation den Klimaaktivisten rund um Greta Thunberg entgegenkommen müsse.

Foto: dpa/Paul White
 ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht von Bernadette Winter vom 29. Dezember 2020: Für Urlauber oder Studierende im Auslandssemester können Mobilfunk-Jahrespakete eine gute Lösung sein. Foto: Christin Klose/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++

ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht von Bernadette Winter vom 29. Dezember 2020: Für Urlauber oder Studierende im Auslandssemester können Mobilfunk-Jahrespakete eine gute Lösung sein. Foto: Christin Klose/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++

Foto: dpa-tmn/Christin Klose
 dpatopbilder - 02.01.2012, Frankreich, Lieuron: Ein Polizist notiert die Personalien von Jugendlichen nach dem Abbruch einer Party in einem in der Nähe gelegenen Hangar etwa 40 km südlich von Rennes. Bei der Großparty waren etwa 2500 Menschen anwesend, die Feiernden waren auch aus anderen französischen Départements und sogar aus dem Ausland angereist. Noch am Abend des 01.01.2021 ging die Party laut AFP mit etlichen Menschen weiter. Die Staatsanwaltschaft habe in dem Fall Untersuchungen eingeleitet. Foto: Jean-Francois Monier/AFP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

dpatopbilder - 02.01.2012, Frankreich, Lieuron: Ein Polizist notiert die Personalien von Jugendlichen nach dem Abbruch einer Party in einem in der Nähe gelegenen Hangar etwa 40 km südlich von Rennes. Bei der Großparty waren etwa 2500 Menschen anwesend, die Feiernden waren auch aus anderen französischen Départements und sogar aus dem Ausland angereist. Noch am Abend des 01.01.2021 ging die Party laut AFP mit etlichen Menschen weiter. Die Staatsanwaltschaft habe in dem Fall Untersuchungen eingeleitet. Foto: Jean-Francois Monier/AFP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Jean-Francois Monier

Die Mehrzahl der Jugendlichen hält sich an die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Sie erachten sie als wichtig für sich, aber vor allem auch für andere. Ihnen ist dabei bewusst, dass die Einschränkungen, die für die gesamte Bevölkerung angeordnet werden, sich in den verschiedenen Altersgruppen keineswegs gleich auswirken. Es macht für sie einen Unterschied, ob ein Erwachsener eine seiner vielen Urlaubsreisen nicht antritt oder ob eine Abiturientin oder ein Abi­turient den geplanten Sprachkurs oder ein Auslandssemester nicht antreten kann. Trotz dieser als ungleich verteilten Pandemie-Einschränkungen besteht seitens der Jugendlichen nach wie vor eine hohe Solidaritätsbereitschaft. Diese zeigt sich in konkreten Alltagspraktiken. Was im März 2020 als spontanes Unterstützungsangebot beim Einkaufen für ältere Menschen begann, setzt sich gegenwärtig vor allem als Impfhilfe fort. „Wer Hilfe bei der Registrierung zum Impfen braucht“, so der aktuelle Aufruf einer vorwiegend von jungen Leuten initiierten Hilfsaktion in der Gemeinde Ralingen, „kann sich ab sofort an die Nachbarschaftshilfe wenden!“ Aber die jungen Leute erwarten, dass sie nach der Corona-Pandemie nicht vergessen werden. Denn sie müssen nicht nur die immensen Kosten tragen, die durch die Pandemie verursacht wurde, sondern sie erwarten auch – oder gerade – Unterstützung bei ihren zentralen Zukunftsthemen: Dem Umwelt- und vor allem dem Klimaschutz. So ist damit zu rechnen, dass die künftige Unterstützung der Fridays-for-Future-Bewegung zur Nagelprobe der Generationengerechtigkeit wird. Man kann daher nur davor warnen, die Generationen gegeneinander auszuspielen. Der Virologe Christian Drosten hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt als die wichtigste Ressource bei der Pandemiebekämpfung bezeichnet. Diesen Zusammenhalt sollten wir nicht durch unnötiges Polarisieren zwischen den Generationen leichtfertig verspielen. Denn der Kampf gegen die Pandemie ist ein Marathonlauf und die Solidarität der Jugend sicher nicht endlos.

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