Theater Geschichtsstunde im Schatten des Riesen

Trier · Volles Haus zur Spielzeiteröffnung: Gut 600 Besucher erlebten am Samstag im Trierer Theater die Uraufführung von Joshua Sobols „Marx’ Bankett“, Einstand von Intendant und Regisseur Manfred Langner. Die humorvolle Inszenierung konnte trotz einiger pfiffiger Einfälle  Marx’ theorielastiges Erbe nicht ganz wettmachen.

 Die Kapitalistin Ayn Rand (rechts, Stephanie Theiß) und der moderne Marxist Piketty (Mitte, Martin Geisen) liefern sich in „Marx‘ Bankett“ im Theater Trier leidenschaftliche Wortgefechte.

Die Kapitalistin Ayn Rand (rechts, Stephanie Theiß) und der moderne Marxist Piketty (Mitte, Martin Geisen) liefern sich in „Marx‘ Bankett“ im Theater Trier leidenschaftliche Wortgefechte.

Foto: Marco Piecuch

Reizfigur Karl Marx.  Die Chinesen heben ihn überlebensgroß auf den Sockel, die anderen wollen ihn von dort runterholen, sein Andenken mit Füßen treten –, haben nicht schließlich Millionen Menschen durch Grausamkeiten im Sowjetkommunismus und der DDR in seinem Namen ihr Leben eingebüßt?! Wo liegt das rechte Maß, den Philosophen aus Trier von aller unwürdigen starren Vergötterung zu befreien, ohne dabei seine genialen Analysen des Kapitalismus gleich mit auf dem Misthaufen der Geschichte zu entsorgen?

 Manfred Langner, der neue Intendant, siedelt Joshua Sobols „Marx’ Bankett“, die erste Produktion der neuen Spielzeit, mitten in Trier an, unter der Marx-Statue. Im Hintergrund der Blick durchs Margarethengässchen in Richtung von Karls Elternhaus, davor in Echtgröße der 5,50 Meter-Koloss, der vom Rocksaum ab aus der Bühne herausragt. Das Bühnengeschehen kommt, außer beim preußischen Gendarm, kaum über die Sockelhöhe hinaus. Und dann tippelt ein Hund vorbei, quer über die Bühne, ungerührt von der großen Statue – ein Brüller für die Besucher gleich zu Beginn.

Im Schatten von Bronze-Karl geht der Streit wieder los, der tobt, seit Marx seine Gesellschaftskritik formulierte. Gibt’s überhaupt noch Unterdrückte, Arbeiter – und sind sie nicht selbst schuld, wenn sie keinen Job, keine Bildung, kein Auskommen haben? Sobol verlegt den Disput an ein „banquet républicain“, eine private Tafel, an der revolutionäre Reden der staatlichen Kontrolle entzogen waren. Historisch kamen diese Bankette in Frankreich auf, als der König politische Versammlungen verbot. Doch auf der Bühne in Trier geht’s quer durch viele Zeiten und Räume. Nicht nur Karl Marx schwingt hier seine mit Originalzitaten gespickten Reden, auch Ayn Rand (1905-1982) lässt sich nieder, die knallharte Verfechterin eines radikalen Kapitalismus, auf die sich heute US-Republikaner à la Sarah Palin berufen. Rand, von Stephanie Theiß als kesse, wortgewaltige Streiterin mitreißend in Szene gesetzt, grätscht immer wieder provokant ins Geschehen, stellt Arbeiter, Ausbeutung und Elend infrage oder als Schuld des Einzelnen heraus. Ihr Gegenspieler Thomas Piketty (Martin Geisen), Ökonomieprofessor in Paris und Autor des Weltbestsellers „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, kontert Rand souverän, indem er die Krisen aufzeigt, die sich der Kapitalismus mit der ungeheuren Anhäufung von Kapital immer wieder selbst schafft. Und hinterfragt, auf wessen Kosten es geht, wenn Rands schicke Bluse im deutschen Kaufhaus nur 19,95 Euro kostet.

Während die Bankett-Gesellschaft, zu der auch Marx’ energisch-tapfere Frau Jenny von Westphalen (Marsha Zimmermann), sein besorgter Förderer Moses Hess (Benjamin Schardt), Freund und Gönner Friedrich Engels (Paul Behrens) und weitere Weggefährten, Arbeiter und Prostituierte gehören, ein revolutionäres Lied anstimmt (Ballade „Wir weben“, das Partisanenlied „Ciao bella“), dann begleitet sie stimmungsvoll das zweiköpfige Karl-Marx-Revival-Orchester,  das seiner Wegrationalisierung im Jahr 2028 entgegengeht, weil dann Roboter sie ersetzen (Akkordeon: Alexander Konrad, Gitarre: Bernd Dahlmanns, Christoph Haupers, musikalische Leitung: Uli Schreiber). Mitten in die Tafel hinein  preist plötzlich ein Souvenirverkäufer (Gideon Rapp) mit neon-blinkendem Bauchladen lauthals seine Devotionalien an – Marx verkauft sich eben vom Shirt bis zur Badeente. Mit deren Kapital fällt seiner Geburtsstadt Trier die Versöhnung mit dem lange ungeliebten Sohn inzwischen ganz leicht.

Karl Marx (Robin Jentys), dessen Talent sein Lehrer Wyttenbach (Michael Hiller) früh erkannte und förderte, kommt auf der Trierer Bühne etwas blass daher, was daran liegen mag, dass in seiner Rolle überwiegend der Kopf gefordert ist, dessen Theoriekonstrukte auch dem Zuschauer einiges abverlangen. Klaus-Michael Nix als Karls Vater Heinrich tritt dem zur Verschwendung neigenden Sohnemann überzeugend entgegen.

Nicht nur den historischen Marx anschauen, sondern den Philosophen in die Gegenwart holen –,  das hatte Langner als Devise ausgegeben. Das gelingt bei vielen aktuellen Bezügen, doch ist das Stück, vor allem im zweiten Teil, über weite Strecken Geschichtsstunde, inszenierte Historie in schönen zeitgenössischen Kostümen (Bühnen- und Kostümbild Beate Zoff). Nach der Pause ist das Bankett ganz verschwunden – am kargen Holztisch plaudern Marx, Jenny, der melancholisch-eitle Dichter Heinrich Heine – herrlich ironisch verkörpert von Gideon Rapp – und dessen Frau Mathilde (Anna  Pircher). Lehrreich ist das allemal. Auch wenn Marx sich von seinem Wesen her sperrt gegen einen Bühnenknaller.

Weitere Termine: 22. September, 19.30 Uhr, 7. Oktober, 18 Uhr, 21. Oktober, 16 Uhr; Theaterkasse: Telefon 7181818.

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