Theater Wahre Freude ist eine ernste Sache

Luxemburg · Warum den Zuschauern bei vier Stunden „Unendlicher Spaß“ im Grand Théâtre das Lachen im Halse stecken bleibt.

 Prominente Besetzung im Gastspiel „Unendlicher Spaß“: Ursina Lardi als Hal, Devid Striesow als Orin und Sebastian Blomberg als toter Vogel. 

Prominente Besetzung im Gastspiel „Unendlicher Spaß“: Ursina Lardi als Hal, Devid Striesow als Orin und Sebastian Blomberg als toter Vogel. 

Foto: Dirk Tenbrock

Wenn sich in Luxemburg die Creme der deutschsprachigen Schauspieler (Ursina Lardi, Jasna Fritzi Bauer, Heiko Pinkowski, Devid Striesow, Sebastian Blomberg und André Jung) um Regisseur Thorsten Lensing schart, nehmen die rund 250 Zuschauer auf der Hinterbühne des Grand Théâtre fast andächtig ihre Plätze ein. Sie erwarten von der Bühnenfassung des Monster-Romans „Unendlicher Spaß“, des manisch-depressiven  amerikanischen Sprachkünstlers David Foster-Wallace (der sich 2008 mit 46 Jahren das Leben nahm) nicht weniger als eine Art Erlösung. War doch das epochale Werk von 1996 ein Heilsversprechen, der Beginn einer neuen Zeit.

Lensing konzentriert sich in seiner Inszenierung auf nur zwei Handlungsstränge, die in fragmentarischen Szenen dargeboten werden: Die Geschichte der genialischen, aber schwer gestörten Familie Incandenza und die von Don Gately, einem Schmerzmittel-Abhängigen, der nun in einer Entzugsklinik arbeitet. Abhängig, sinnsuchend und mehr oder minder beschädigt sind hier alle, beispielsweise von Marihuana, Alkohol, Kokain, Schmerzmitteln oder Sex. Das Stück ist das Vehikel, um die Skurrilität der Welt zu zeigen, ihre Abgründe. Aber auch für die leicht angeberische Sprachpotenz von Wallace.

Und auch Vehikel zu zeigen, was großartige Schauspieler und wunderbare Regieeinfälle daraus machen können. Das ist pures Theater, schlicht und ergreifend, verrückt, wüst, aggressiv, ekelerregend, aber auch feinfühlig, sensibel und vor allem sehr, sehr komisch. Da wird geschrien, geschnalzt, geschmatzt und gerülpst, gewütet, aber auch ganz ruhig geredet.

Das Alter und das Geschlecht der Schauspieler sind in ihren Rollen egal, man glaubt ihnen einfach alles. Ursina Lardi ist ein berückender Hal, ein Teenager und Alter Ego des Autors Foster-Wallace.

Die krass unterschiedlichen Spielstile der Schauspieler ergeben gemeinsam ein funkelndes Ganzes, mal umwerfend komisch (herausragend und sensationell gut: Sebastian Blomberg und Devid Striesow), mal bis ins Mark rührend (André Jung als schwer versehrter Mario und Jasna Fritzi Bauer als koksende Mutter, die ihr totes Baby herumträgt), mal monumental ergreifend (Heiko Pinkowski als Don Gately, der mit Gott hadert und sein Leben der Nüchternheit opfert).

Unter der Komik liegt die Tragik des Schicksals der Protagonisten, mancher Zuschauer, der zuerst lacht, verstummt dann schnell wieder.

Die ersten zwei Stunden vergehen im Flug, die zweite Hälfte ist – und das ist wohl gewollt – für den Zuschauer anstrengender, mehr nach innen gekehrt.

„Res severa verum gaudium“ – wahre Freude ist eine ernste Sache, ist das Motto des Leipziger Gewandhausorchsters und kann durchaus auch für diesen unendlichen Spaß im Theater stehen, der eigentlich todernst ist.

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