Vinyl der Woche: Kid A – Radiohead Ein ganz und gar anderes Meisterwerk

Serie · Erfolgreich, aber nervlich am Ende: So fühlt sich Radiohead-Sänger Thom Yorke Ende der 90er-Jahre. Er zieht sich zurück – und legt den Grundstein für das Meisterwerk Kid A. Warum das Album anders, aber ein Meilenstein ist.

 Kid A - Radiohead

Kid A - Radiohead

Foto: Band

Thom Yorke ist alleine. Entspannt wandert er entlang der Klippen von Cornwall. Ruhig sitzt er in seinem neu erworbenen Haus in der Grafschaft, zeichnet und schreibt. Der Sänger der britischen Rockband Radiohead ist vor allem nach dem unglaublichen Erfolg des 1997er-Albums OK Computer mental am Ende. Er sieht sich außerstande, neue Musik zu schreiben. Also, ab in die Ruhe der Grafschaft – in der Yorke den Grundstein für sein nächstes Meisterwerk, Kid A, legt.

Denn ganz ohne Musik lebt Yorke auch in Cornwall nicht. Er hört fast ausschließlich Elektro. Bands wie Aphex Twin und Autechre faszinieren ihn damit, dass sie ohne Stimmen Emotionen wecken. Eine ungewöhnliche Erkenntnis für einen weltweit bekannten Rocksänger. Dann beginnt Yorke wieder selbst zu musizieren – auf einem Flügel. Er selbst bezeichnet sich als „beschissenen Klavierspieler“. Von elektronischen Instrumenten wie er sie bei den oben genannten Band hört, hat er Null Ahnung. Eben deshalb will er sie kennenlernen, eben deshalb will er mit ihnen den Sound von Radiohead neu erschaffen.

Und so entsteht der erste Song von Kid A, Everything In Its Right Place, in Cornwall. Doch zur Band gehören mehr Mitglieder als Thom Yorke. Die sind zunächst nicht alle überzeugt von der musikalischen Revolution. Die Idee, dass nicht alle Musiker auf allen Songs zu hören sind, sorgt für Unmut. Besonders Gitarrist Ed O’Brien sorgt sich. Schließlich sollen auf vielen Songs plötzlich keine Gitarren mehr vorhanden sein. Doch Radiohead rauft sich zusammen, geht ins Studio und produziert einen Klassiker, der im Oktober 2000 erscheint.

Auch in Sachen Promo geht Radiohead neue Wege. Single-Auskopplungen? Geschenkt! Vorab-Interviews? Bitte nicht! Journalisten erhalten keine Vorabkassetten oder -CDs. Niemand soll wissen, welch neuer Sound ihn erwartet. Versetzt man sich in die Haut eines Radiohead-Fans im Jahr 2000, dann sieht das folgendermaßen aus: OK Computer war ein Meisterwerk, ich harre mit einer gigantischen Erwartungshaltung auf das neue Album. Und dann? Die ersten drei Songs von Kid A kommen komplett ohne Gitarre aus. Puh. Einige Fans wie auch Kritiker müssen verarbeiten, dass sich Radiohead weit vom ursprünglichen Bandsound entfernen.

Die elektronischen Klänge, in die sich Thom Yorke in Cornwall verliebt hat, dominieren die Platte. Was auf den ersten Blick für viele Kritiker „kommerzieller Selbstmord“ zu sein scheint, entpuppt sich als das Gegenteil: Unter anderem holt Radiohead einen Grammy für das Beste Alternative-Album. Das Magazin Rolling Stone wählt Kid A zum besten Album der Jahre 2000 bis 2009. In sechs Ländern erreicht die Platte Platin-Status, zum ersten Mal in der Bandgeschichte erreicht Radiohead Platz Eins in den US-Charts, verkauft alleine dort über 200 000 Exemplare in der ersten Woche. Die Zahlen und das Vermächtnis geben dem Experiment Recht. Kid A ist ein ganz und gar anderes Meisterwerk.

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