Vinyl der Woche: Stadt, Land, Flucht – 100 Kilo Herz 100 Kilo Mumm

Serie | Leipzig · Von einer Punkband, die sich kritisch gegenüber Alkoholmissbrauch äußert: Wie die Leipziger Trompeten-Punker 100 Kilo Herz mit ihrem neuen Album Stadt, Land, Flucht beweisen, dass sie jede Menge Mumm haben.

 Stadt, Land, Flucht - 100 Kilo Herz

Stadt, Land, Flucht - 100 Kilo Herz

Foto: Uncle M

Wenn jemand an einer Theke steht und sagt: „Ich hätte gerne 100 Kilo Herz“, dann steht entweder ein potentieller Käufer mit Faible für Innereien an der Fleischtheke und möchte ein Festmahl zubereiten, oder jemand hat eine Menge Ahnung von guter Musik. Es ist wahrscheinlicher, dass diese Konversation nicht in der Metzgerei, sondern im Plattenladen stattfindet ... und wahrscheinlich geht es weniger um Organe, als um das neue Album Stadt, Land, Flucht von 100 Kilo Herz.

Dieser Texteinstieg war ungewöhnlich? Gut. Denn das sind 100 Kilo Herz auch. Kurz zur Band: 100 Kilo Herz stammen aus Leipzig, haben sich 2015 gegründet und 2018 ihr erstes Studioalbum Weit Weg Von Zu Hause veröffentlicht. Ungewöhnlich präsentiert sich die Band dadurch, dass sie „Punk mit Bläsern“ spielt. Sprich: Neben bekannten Ska-Punk-Klängen, baut 100 Kilo Herz unter anderem sehr markant die Trompete ein. Was kurz gesagt dazu führt, dass Ohrwürmer entstehen, die gleichzeitig wichtige und kritische Texte gekonnt im Kopf festsetzen.

Genau das schaffen die Leipziger auch mit ihrem neuen Album, das am 5. August erscheint. Gewöhnlich und langweilig daran ist nur das Plattencover, das schlicht, weiß und mit wenigen Worten daherkommt. Doch dass man ein Buch nicht nach seinem Einband (oder eine Platte nach ihrem Cover) vorverurteilen sollte, beweist 100 Kilo Herz. Denn Stadt, Land, Flucht ist einer der Geheimtipps für 2020.

Warum? Nun, einerseits wegen der angesprochenen Kombination aus Punk und Bläsern, die im Vergleich zu Weit Weg Von Zu Hause noch einmal verfeinert wurde und noch besser funktioniert. Besonders deutlich wird das schon bei der ersten Single des Albums, Drei Jahre ausgebrannt. Bei diesem Song wird auch gleich der zweite Geheimtipp-Faktor deutlich: das Ansprechen kritischer Themen. In diesem Fall wenden sich die Leipziger gegen Alltagsrassismus.

Wobei, dass sich eine Punkband gegen Rassismus ausspricht, ist nicht ungewöhnlich. Nehmen wir also den zweiten Song, Tresenfrist. Hier wird ein kritischer Blick auf übermäßigen Alkoholkonsum geworfen, eine Problematik, die vor allem in der Punkszene sehr selten angesprochen wird. Ein Tipp für Podcast-Hörer: Über dieses Thema spricht Sänger Rodi im „Uncle M Kaffeekränzchen“ (gibt es hier zu Hören). Picken wir uns eine Zeile aus Tresenfrist heraus: „Und du schluckst und schluckst und schluckst, bis dich der Tresen frisst.“

Mit Stadt, Land, Flucht beweisen die Leipziger, dass sie nicht nur 100 Kilo Herz heißen, sondern auch 100 Kilo Mumm besitzen.

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