Wer hier verrückt ist, wird es lange bleiben „Was ihr wollt“ – Frank Hoffmanns Inzenierung am Theater Trier kommt gut an

Trier · „Was ihr wollt“: Frank Hoffmann macht im Theater Trier aus Shakespeares Komödie ein Lehrstück über das Leben, wie es sein könnte, wenn es gut liefe.

 Angeheiterte Intriganten (von links): Sir Toby Rülps (Michael Hiller), der Narr Feste (Jan Plewka) und Sir Andrew Bleichenwang (Klaus-Michael Nix).

Angeheiterte Intriganten (von links): Sir Toby Rülps (Michael Hiller), der Narr Feste (Jan Plewka) und Sir Andrew Bleichenwang (Klaus-Michael Nix).

Foto: tv/Theater Trier

 „Ich habe keine Angst vor dem Weg … alles wird gut werden. Der Wind wird uns tragen.“ Dieses  Chanson der französischen Rockband Noir désir klingt nicht gerade nach einem Happyend. Obwohl dem eine Shakespeare-Komödie vorausgegangen ist. Bei der Regisseur Frank Hoffmann ein Feuerwerk an inszenatorischen Einfällen abgefackelt hat, die besonders – nach einem von einigen Längen und klamaukigen Extravaganzen nicht freien ersten Teil – im zweiten so richtig zu zünden beginnen. Doch wie meistens folgt der ausgelassenen Narretei ein gewaltiger Kater, und alle sind frustriert. Dabei haben sie doch am Ende bekommen, was sie wollten. Oder was sie zu wollen glaubten. Oder was sie glauben wollten.

„Was ihr wollt“, diese Geschichte von Liebe und Liebeleien, die unentwegt in die Irre laufen und die Beteiligten irre machen, in einem Land namens Illyrien, an dessen Landesgrenzen die Einwohner ihre Zurechnungsfähigkeit offenbar abgeben müssen – der Luxemburger Hoffmann hat daraus eine rasante Revue des albernen Tiefsinns und der tiefsinnigen Albernheiten gemacht.

Die aufgepeitschte See, die zu Beginn über die gesamte Bühne bis zur Rampe schwappt, deren weiße Papierbahnen einen abstrakten, ort- und zeitlosen  Spielraum andeuten (Christoph Rasche), findet ihr Pendant im Treibsand der Gefühle, auf dem die Figuren permanent den Grund unter den Füßen  verlieren – nicht nur, wenn alle am Ende auf dem schwankenden Schwebebalken sitzen und mit den Beinen baumeln. Wer hier verrückt ist, wird es lange bleiben.

Viola strandet in diesem „Land des Dauerkarnevals“ (Programmheft) und begibt sich als „Cesario“ in die Dienste des Herzog Orsino, der die albern-kapriziös-kindische Olivia liebt. „Cesario“ verliebt sich in Orsino, und Olivia, der Orsino auf den Wecker geht, verfällt „Cesario“. Dann taucht überraschend Violas Zwillingsbruder Sebastian auf, der das Liebeskarussell endgültig auf schwindelerregendes Tempo bringt. Alles klar? Wohl kaum! Aber warum sollte es dem Zuschauer besser ergehen als den Figuren auf der Bühne, die auch den Durchblick verloren haben? Auf dem Weg durch die Liebeshölle folgen die Mitwirkenden dem Regisseur mit überbordender Lust am grausamen Spiel.

Dafür hat er einen Trupp exzellenter Mimen aus Luxemburg, Hamburg, Berlin und Trier um sich geschart, die einander mühelos das Wasser reichen können, in das einige von ihnen prompt hineinplumpsen. Die Neuübersetzung von Florian Hirsch und Plinio Bachmann tänzelt leichtfüßig am Original entlang, ohne es allzu ernst zu nehmen. (A propos tänzeln: für die choreographischen Einlagen zeichnet Paul Hess verantwortlich).

Und Hoffmann macht es noch um einiges verzwickter, indem er das Zwillingspaar Viola und Sebastian einer Schauspielerin anvertraut. Nora Koenig bewegt sich souverän in beiden Geschlechtern, mal ratloser Liebesbote und mal cooler Macho mit tief in die Stirn gedrücktem Hut (Kostüme: Jasna Bosnjak) und lässiger Raucherpose. Giovanni Rupp als Graf Orsino, der in durchsichtigem Spitzennegligé beziehungsweise rosafarbenem Hosenanzug nicht so recht zu wissen scheint, welchem Geschlecht er sich zugehörig fühlen soll, hat mit seinem ruppig-cholerischen Auftreten wenig Chancen, Frauenherzen zu erobern; dennoch verguckt sich Viola in ihn (vermutlich eher eine Vernunftentscheidung, denn glücklich wirkt sie dabei nicht gerade). Doch wo die Gendergrenzen verschwimmen, ist es schließlich egal, mit wem man am Ende im Bett landet.

Jacqueline Macauleys Olivia darf ihren unberechenbaren Launen freien Lauf lassen bis an den Rand der Hysterie, was sie mit Lust an der eigenen Zickigkeit genüsslich auskostet. Mit ebenso großer Lust kujoniert sie ihr Gesinde und ihre Hausgäste, zu denen ihr ewig besoffener Onkel Toby Rülps nebst seinem Freund, Saufkumpan und begnadetem Hasenfuß Andrew Bleichenwang gehört. Michael Hiller und Klaus-Michael Nix (der am Premierenabend übrigens sein 25-jähriges Trierer Bühnenjubiläum feiern konnte, wie Manfred Langner bei der Ensemble-Laudatio bekanntgab) sind ein Komikerduo, das sich vor Stan Laurel und Oliver Hardy, vulgo Dick und Doof, wahrlich nicht zu verstecken braucht.

Als Kammerzofe Maria haut Barbara Ullmann mit unverhohlener Freude auf die komödiantische Pauke und entpuppt sich als gewiefte Intrigantin, die dem verhassten Haushofmeister Malvolio mal so richtig eins auswischen kann. In der Rolle des bigotten Puritaners glänzt Ulrich Gebauer, der sich als ahnungsloses und stets griesgrämiges Opfer dieses bösen Streichs für seine Herrin Olivia in gelbe Strumpfhosen und ein affiges Grinsen ins Gesicht zwingt, um deren vermeintliche Zuneigung zu erwidern.

Und da Musik der Liebe Nahrung ist, gibt‘s reichlich davon in dieser herzlosen Komödie. Die wird präsentiert von Jan Plewka, Leadsänger der Hamburger Rockband „Selig“. Er trägt als Narr Feste Lieder vor, an die Shakespeare nicht mal in seinen kühnsten Träumen gedacht haben dürfte und die das Geschehen mit bittersüßen Texten kommentieren: „The Power of Love“, „Nothing Compares 2 U“ oder „Tausendmal berührt“. Und einmal wird das Publikum sogar zum Mitsingen aufgefordert. Echt tolle Stimmung also im coronamäßig ausverkauften Saal. Plewkas Begleiter am Piano ist Manuel Krass, der sämtliche Stilrichtungen von Rock bis klassischem Tango in den Fingern hat.

Ergänzt wird dieses – sagten wir es schon? – Top-Ensemble von Raphael Christoph Grosch als Kapitän Antonio, der nicht weiß, wie ihm geschieht, als er das Ende des Abends in Handschellen erleben muss, und Martin Geisen als Kapitän und Diener Fabian, der mit der Kehrschaufel in der Hand bereit sitzt, um zumindest den greifbaren Teil des angerichteten Chaos‘ wegzufegen.

Lang anhaltende, stehende Ovationen des Publikums bei dieser „offiziellen“ Spielzeiteröffnung, an der teilzunehmen sich übrigens der Oberbürgermeister nebst zahlreichen Mitgliedern des Stadtrats nicht hat nehmen lassen.

  Vergebliche    Liebesmüh  :    Kammerdiener    Malvolio (Ulrich    Gebauer) kann    bei seiner    Arbeitge  berin,    Gräfin Olivia    (Jacqueline Macauley), nicht landen.

Vergebliche Liebesmüh : Kammerdiener Malvolio (Ulrich Gebauer) kann bei seiner Arbeitge berin, Gräfin Olivia (Jacqueline Macauley), nicht landen.

Foto: tv/Theater Trier

Die nächsten Vorstellungen: Vom 22. bis 28. Oktober im Théâtre national du Luxembourg, 20 Uhr; ab November in Trier: 2., 7., 14., 15. und 16. November, 19.30 Uhr, Karten: 0651/718-1818.

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